Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters

Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters

Titel: Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lochthofen
Vom Netzwerk:
Korobkin, Kostrow, Kowal, Krylow, Kulschew, Kurtschenko, Kusmenko, Kusnetzow … Der Buchstabe «L» war dagegen eine Erholung. Nur fünf Namen.
    Endlich rief der Schreiber – ein Gefangener wie alle anderen, aber ein «Freund des Volkes» – «Longofen» über den Appellplatz. Lorenz trat vor. Nach dem Aufsagen der üblichen Daten kam die Frage: Weshalb verurteilt? Das war, zumindest auf dem Papier, seit der Ankunft im Lager geklärt.
    «Nun, Mechaniker, der Paragraph?»
    «KRTD.»
    «Falsch», sagte der Schreiber.
    «Wieso? Es hieß bei der Einweisung KRTD.»
    «Falsch.»
    «Was dann?»
    «Paragraph 58 Punkt 4: Agent der internationalen Bourgeoisie.»
    «Ich?! Ein Agent der Bourgeoisie? Ich bin aus Deutschland emigriert, weil ich verfolgt wurde.»
    Der neue Lagerchef mischte sich gereizt ein:
    «Pass auf, Mechaniker, vögel mir nicht das Hirn. Sonst erinnere ich mich daran, dass du in der Werkstatt nichts mehr verloren hast, die erfüllen ihren Plan auch ohne dich, wenn ich ihnen Beine mache. Und überhaupt, welcher dreckige Schwanz kann schon wissen, warum du hier bist? Und wen du dort gefickt hast? Die Genossen in Moskau werden sich schon etwas dabei gefotzt haben.»
    «Ja, aber … Die wollten mich in Deutschland einsperren.»
    «Na siehst du, wie gut du es getroffen hast. Jetzt kümmern wir uns um dich. Der Nächste!»
    Zwecklos, es hatte keinen Sinn. Lorenz dachte an die Lehmgrube. Er musste froh sein, dass sie ihn zur «Stärkung des Kommunismus» in der Werkstatt brauchten. Also: Klappe halten.

Das Jahr 1940:

    Wachturm und Wohnbaracken in Workuta. © picture-alliance/akg-images/RIA Nowosti.
    Unterlage: Von den Nazis zu Propagandazwecken verbreiteter Bericht aus Workuta von Kajetan Klug.

Die Olympischen Spiele fallen aus. SS-Reichsführer Himmler ordnet den Bau des KZ Auschwitz an. Deutscher Blitzkrieg im Westen. NKWD-Einheiten ermorden nahe Katyn Tausende gefangene polnische Offiziere. Die Wehrmacht marschiert in Paris ein. Stalin lässt das Baltikum besetzen. Erste Nylonstrümpfe gehen in den Verkauf. John Lennon wird in Liverpool geboren. Ein sowjetischer Agent erschlägt mit einem Eispickel Leo Trotzki in dessen mexikanischem Exil. Durch einen deutschen Luftangriff werden das Stadtzentrum und die Kathedrale von Coventry zerstört. Über 400   000 Juden werden von deutschen Besatzern in Warschau in ein Ghetto gesperrt und später in Vernichtungslager abtransportiert.

1940
    Es knirschte. Kurz und trocken. Der Urka sackte wimmernd auf den dreckigen Fußboden. Blut lief über sein Gesicht. Lorenz stand in der Mitte der Baracke, den Hammer fest in der Hand, und sah sich langsam um: vor ihm die anderen Kartenspieler am Ofen. Sie waren erschrocken aufgesprungen und schauten auf ihren Kumpanen. Hinter seinem Rücken versammelten sich die Politischen. Nur wenige blieben auf ihren Pritschen.
    Die Auseinandersetzung kündigte sich seit Tagen an. Ob sie von der Lagerleitung ermuntert wurden oder die Kriminellen von sich aus handelten, war nicht zu ergründen. Jedenfalls reagierten die Ganoven auf alles gereizt und aggressiv. Sie ließen keine Gelegenheit aus, die anderen zu peinigen. Das Gesindel machte sich auf dem einzigen freien Platz zwischen Ofen und Pritschen breit und ließ keinen anderen dorthin. Wer von der Tür kam und auf geradem Weg zu den Pritschen ging, konnte froh sein, nicht getreten oder angepöbelt zu werden. Vor allem die «Schpana» tat sich mit Gemeinheiten hervor. Die Bosse lachten und ließen ihre Schranzen gewähren.
    So wie jetzt. Lorenz kam als einer der Letzten, müde und verfroren. Er hielt sich in der Baracke nur auf, wenn es nicht anders ging. Lieber eine zweite Schicht oder auch in der Nacht arbeiten, als hier mit dem Pack zusammengedrängt zu hausen. Es kostete zu viel Kraft, die Bande ständig auf Abstand zu halten. Und der Bootsmann, der ihn am ersten Tag vor den Urki bewahrt hatte, der lag irgendwo verscharrt. Erschossen. Nach mehreren schweren Unfällen hatte er sich geweigert, in den Schacht einzufahren.
    Draußen fauchte ein eisiger Wind. Die Tür der Baracke ließ sich schwer öffnen und noch schwerer schließen. Lorenz hatte sie mit Wucht zugeschlagen und war schon einige Schritte Richtung Pritsche gegangen, da riss der Wind die Tür wieder auf. Ein Schwall eisiger Luft, gemischt mit Schneekristallen, brach in den Raum. Der Ataman schrie mit heiserer Stimme:
    «Welcher Pimmel war das?»
    «Es war der Faschist!»
    Einer der Schpana sprang auf und stieß Lorenz den

Weitere Kostenlose Bücher