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Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters

Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters

Titel: Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lochthofen
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Wort.»
    Zurückgekehrt in die Baracke, erteilte der Leutnant nur knappe Befehle:
    «Erstens: Dieses Lager wird aufgelöst.»
    Ein Raunen ging durch die Reihen. Der Lagerchef und seine Untergebenen schauten verständnislos.
    «Zweitens: Die Gefangenen werden vom Arzt untersucht und ihrem Zustand entsprechend auf die Krankenstationen verteilt.»
    Einer der Gefangenen stöhnte; es klang, als machte seine geschundene Seele, die gerade beschlossen hatte, ihn zu verlassen, auf halbem Wege kehrt.
    «Drittens: Der Lagerchef und der Wirtschaftsleiter werden verhaftet …» Der letzte Satz ging im allgemeinen Tumult unter. Die Proteste der Lagerleitung gleichfalls.
    Später sprach es sich unter den Häftlingen herum, dass die Spitze der Lagerverwaltung wegen Diebstahls von Volkseigentum und Sabotage hingerichtet worden war. Im Grunde war es egal, wen es traf: Hauptsache, es wurde jemand erschossen.
    Sternberg feierten die Gefangenen als Helden.
    Das Sonderlager am Schacht Nr.   7 wurde tatsächlich aufgelöst, alle Baracken mit Benzin übergossen und angezündet. Die Toten blieben auf den Pritschen liegen.

Das Jahr 1943:

    Lageraufnahme aus den vierziger Jahren. © picture-alliance/akg-images/RIA Nowosti. Unterlage: Aufschlagseite von «W. Shakespeare’s dramatische Werke», dem einzigen Buch in deutscher Sprache, das Lorenz Lochthofen im Lager besaß.

Feldmarschall Paulus kapituliert in der Schlacht von Stalingrad. In einer Rede im Berliner Sportpalast fordert Goebbels den «totalen Krieg». Der Roten Armee gelingt es, den deutschen Belagerungsring um Leningrad, der unter der Zivilbevölkerung über eine Million Opfer fordert, zu durchbrechen. Sophie und Hans Scholl werden hingerichtet. Deutsche Verbände ergeben sich in Tunesien. Im Warschauer Ghetto, aus dem bereits 300   000 Juden deportiert worden sind, beginnt der Aufstand. Stalin lässt die Kommunistische Internationale (Komintern) auflösen. Auf der Konferenz in Teheran teilen Roosevelt, Churchill und Stalin Europa neu auf. Das erste Antibiotikum wird isoliert. «Der kleine Prinz» von Antoine de Saint-Exupéry erscheint.

1943
    Die Sonne schien heiß. Es war einer dieser wenigen strahlenden Tage des kurzen Tundra-Sommers. In der dünnen Luft des Nordens musste man tief einatmen, um genug Sauerstoff zu bekommen. Lorenz lief auf dem Eisenbahngleis zur Arbeit. Er war zusammen mit Horst in die Werkstatt eines der beiden Baustoffbetriebe befohlen worden. Die Siege an der Front, vor allem bei Stalingrad, sorgten jetzt dafür, dass die Deutschen nicht mehr wie Aussätzige behandelt wurden.
    Lorenz suchte seinen Schritt den Abständen der Schwellen anzupassen. Die Schienen der Schmalspurbahn machten einen Bogen und knickten in einer morastigen Grube nach der Seite weg. Das passierte im Sommer oft. Der Permafrostboden taute nur an der Oberfläche und verschlang das spärlich aufgetragene Kiesbett. Nun rackerte sich ein gutes Dutzend Gefangener damit ab, den Schienen wieder Halt zu geben. An der Kleidung erkannte Lorenz schon aus der Ferne, um welche Häftlingen es sich handelte: deutsche Kriegsgefangene. Feldgraue Hosen, Uniformjacken mit Metallknöpfen und Mützen, die hier kein Mensch trug, gemischt mit üblicher Lagerkleidung, ließen keinen Zweifel. Lorenz blieb stehen und schaute den dreckverschmierten Gestalten bei der Arbeit zu.
    Das richtige Schaufeln mussten sie noch lernen. Das hieß die Kräfte einteilen und vor allem: keine unnötigen Bewegungen. Die Landsleute nahmen von ihm keine Notiz. So standen sie, der eine schaute, die anderen schaufelten. Lorenz war neugierig. Er wollte wissen, was die Neuen so dachten, worüber sie redeten, wem sie die Schuld an ihrer Misere gaben. Und da sie nicht ahnen konnten, dass er Deutsch verstand, versprach es eine gute Unterhaltung.
    Sein Kalkül ging auf. Irgendwann setzte ein hochgewachsener Kerl die Schaufel ab, stützte sich mit beiden Händen auf den Stiel und schaute Lorenz herausfordernd an:
    «Na, Iwan? Das machst du gerne, was? Dem Deutschen bei der Arbeit zugucken?»
    Lorenz lächelte wortlos.
    Ein zweiter Häftling, schmächtig und mit Ohren, die wie Kartoffelpuffer unter dem Mützenrand hervorstanden, gluckste, warf seine Hacke hin und schaute zu dem Fremden, der immer noch lächelte und schwieg. Die anderen folgten nach und nach, froh darüber, einen Grund gefunden zu haben, die Arbeit unterbrechen zu können. Die Wachen störte es nicht, die waren abgelenkt. Sie saßen um einen Findling und klopften Domino.

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