Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters
fröhlich in die Gefäße. Je nach Bedarf gab es einen Schwapp Wasser dazu. Ein Halb-und-halb-Gemisch galt als vernünftig. Mancher in der Runde hoffte auch, durch einen größeren Wasseranteil das eigene Stehvermögen zu verbessern. Macht nichts, sagten die anderen. So blieb für sie mehr.
Erich hob sein Glas und prostete den Freunden zu:
«Auf die Heimkehr!»
«Auf die Heimkehr!» antworteten die anderen.
«Und wohin soll es bitte gehen?», fragte Willi nachdenklich.
Schon fielen sie in ihren alten Streit. Konnte Deutschland je wieder die Heimat eines aufrechten Deutschen sein? Gar eines Juden? Und war die Sowjetunion, in die sie einst mit so großen Erwartungen gekommen waren und die sie so bitter enttäuscht hatte, eine Alternative? Für Horst und Lorenz gab es kein Zweifeln: Sie wollten zurück. Zurück nach Hause. Den Albtraum hinter sich lassen. Einen neuen Anfang wagen. Doch die andere Fraktion war in der Überzahl. Sowohl Erich als auch Willi und selbst Gustav, ganz zu schweigen von Sascha, der als Wolgadeutscher nie etwas anderes als Russland gesehen hatte, sie alle konnten sich nicht vorstellen, nach Deutschland zurückzugehen.
«Die sind doch alle noch Nazis», polterte der sonst eher ruhige Willi, nachdem man den zweiten Becher auf den Sieg geleert hatte. «Die waren Faschisten, und die bleiben Faschisten. Sicher, sie haben einen auf den Deckel bekommen. Vorerst sind sie still. Machen, was die Alliierten sagen. Aber lass die sich erst mal berappeln. Dann kriechen sie wieder aus ihren Löchern.»
«Ich gebe zu, viele, aber nicht alle waren Hitler-Anhänger», erwiderte Lorenz. «Bei mir in der Familie hat keiner mitgemacht, das kannst du mir glauben. Und es wird auch noch andere geben. Darauf lässt sich aufbauen …»
«Sicherlich, nur uns lassen sie da nicht ran, beim großen Aufbau», bemerkte Gustav bitter. Eigentlich passte der Pessimismus gar nicht zu ihm. «Was dort geschieht, ist das eine. Das andere ist doch, die werden uns hier nie und nimmer rauslassen. Wir sind die überlebenden Zeugen ihres Verbrechens. Was kann der NKWD für ein Interesse daran haben, dass die Welt erfährt, was die hier getrieben haben, während andere an der Front starben?»
Gustavs Worte hatten die Runde schweigsam gemacht.
«Die brummen uns noch mal zehn Jahre drauf, und fertig ist der Lack.»
«Meinst du wirklich, die lassen uns nicht weg?» Sascha klang ungläubig und besorgt zugleich. «Aber alle reden von Amnestie. Die brauchen doch jetzt Leute zum Wiederaufbau. Millionen sind tot. Nur mit Bauern aus Sibirien werden die Fabriken nicht arbeiten.»
«Die haben die Leute auch zur Verteidigung gebraucht. Und doch haben sie kurz vor Kriegsbeginn die Rote Armee enthauptet», mischte sich Willi wieder ein. «Das mit der Amnestie klingt gut. Aber da hätte man uns ja längst etwas sagen können. Aber nein. Nichts. Oder habt ihr etwas gehört? Ich sag euch was, der Anton aus dem Kesselhaus war beim NKWD-Natschalnik und wollte wissen, wann er denn freikäme. Er sitzt ja auch schon vier Jahre über der Frist. Wie du, Lorenz. Dem haben sie gesagt, er soll ganz schnell verschwinden, sonst gibt es noch ein paar Jährchen drauf.»
Horst, der bedächtig ein Stück Piraschok kaute, wurde unwillig:
«Wenn ich euch so höre, könnte man sich ja gleich von der Wochra erschießen lassen. Haben ja auch welche gemacht, sind in den Stacheldraht gelaufen. Schrecklich. Und? Nun liegen sie verscharrt in der Tundra. Kein Stein. Kein Kreuz. Wissen nicht mal, dass Hitler den Krieg verloren hat. Und das ist schon ein Grund, um weiterzuleben. Den Sohn vom alten Herrmann Duncker, den Wolfgang, den hab ich noch in der Krankenbaracke gesehen. Der wollte nicht mehr, der Mut hatte ihn verlassen. Sie haben ihn in ein Massengrab geschmissen. Am Fuß baumelte ein Holzschild mit dem Namen. Aber das kann es doch nicht gewesen sein! Da würden wir ja den elenden Verbrechern recht geben.»
«Genau so ist es.» Lorenz füllte die Gläser und Tassen mit einem neuen Schwapp Spiritus. «Wer hier bleibt, wird ihnen nie entkommen. Selbst wenn wir nach allen Fristen, die man uns noch aufbrummt, irgendwo im Süden, dem Donbass oder am Meer wieder Fuß fassen. Die sind schon da, erwarten uns und finden uns überall. Die sterben nicht aus. Auch wenn an der Oberfläche alles schön rosig aussieht. Drunter ist alles faul und krank. Wenn ich kann, bin ich hier weg. Ich will zurück nach Deutschland.»
Er hob sein Glas und prostete dem Spender zu:
«Auf
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