Schwarzes Gold Roman
Anflug von Panik seine
Gedanken lähmte. Die Hochzeit seiner Tochter betraf sein Leben gleichermaßen
– eben diese Hochzeit führte ihn an einen entscheidenden Punkt. Die Ehe, die
am heutigen Tag eingegangen werden sollte, war die offizielle Anerkennung des
Zustandes, in dem er und seine Frau Bitten sich im letzten Jahr befunden
hatten. Hierher hatte das Leben sie geführt.
Für einen kurzen Moment überlegte er, ob die Panik etwas
mit Schuldgefühlen zu tun hatte, oder einfach nur mit der Angst, sich der
Situation zu stellen, der Angst, sich seiner Frau Bitten und vielleicht sich
selbst zu stellen. Dass die Kinder nun endgültig ausgeflogen waren, machte es
unmöglich, darüber hinwegzusehen, dass man selbst den Zenit auch schon
überschritten hatte. Möglicherweise rührte die Panik auch von der Angst her,
mit Bitten allein zu sein. Ohne seine jüngste Tochter in der Nähe würde das
Gefühl von Einsamkeit stärker werden. Zu seiner ältesten Tochter hatte er
längst den Kontakt verloren, sie lebte in England, sprach Englisch am Telefon,
schickte Geschenke zurück und erhob mittels ihrer Anwälte grobe
Anschuldigungen gegen ihn. Sara Augustas jüngste Schwester, Emma, wohnte in
New York, hatte eine Modelkarriere hinter sich und war mit einem bankrotten
Schauspieler verheiratet. Emma und ihr Mann tranken Weißwein zum Frühstück
und demütigten einander öffentlich mit ausgesuchten Sticheleien. Als sie vor
wenigen Minuten ins Taxi gestiegen waren, hatte Emma Schwierigkeiten gehabt,
aufrecht zu gehen. Das Paar hatte etwas Erbärmliches und Tragisches an sich.
Der Anblick hatte Georg Spenning ein merkwürdiges Gefühl in der Magengegend
beschert und seine Befürchtung, dass nun auch seine dritte Tochter von der Ehe
ruiniert werden würde, nur verstärkt.
Er betrachtete seinen Umriss im Fenster. Drei Töchter hatte
er großgezogen. Die älteste hasste ihn dafür, die zweite richtete sich
systematisch zu Grunde, nicht einmal Hass war ihr geblieben.
Georg Spenning verschränkte die Hände auf dem Rücken und
hörte, wie seine Jüngste die Steinfliesen betrat. Das Geräusch von
Absätzen, die auf Stein trafen, vermischt mit dem Rascheln und Rauschen des
Brautkleides. Ihr Duft erfüllte den Raum. Er drehte sich nicht um, sondern
betrachtete im unklaren Spiegelbild des Fensters, wie sie ihr Kleid richtete,
sich auf einen der Stühle am Glastisch setzte, eine Zigarette aus dem kleinen
Zigarettenspender nahm, sie mit dem Kupferfeuerzeug, das die Form eines Bullen
hatte, anzündete und dabei einen leisen Fluch ausstieß, weil irgendetwas mit
ihrem Fingernagel nicht in Ordnung war. Eine der Eigenschaften, die er an Bette
Line am meisten schätzte, war die Natürlichkeit, die sie in seiner Gegenwart
an den Tag legte. Bei ihr musste er sich deshalb nicht verstellen, keine
Plattheiten von sich geben oder hohle Rituale pflegen, um ihr seine Liebe zu
zeigen. Sie nahm seine Fürsorge und seine Liebe immer als selbstverständlich
hin, und Georg Spenning dachte, nicht ohne eine gewisse Wehmut, dass er eben
diese Seite an ihr besonders mochte.
Bette Line war fast genauso groß wie ihr Vater. Mit ihren
hohen Absätzen würde ihr blonder Kopf seinen grauen um ein paar Zentimeter
überragen, wenn sie Arm in Arm das kurze Stück entlang des Mittelgangs der
Kapelle in Grini gehen würden. Der Brautstrauß lag in einer antiken
Böttcherarbeit aus dem 18. Jahrhundert – eine Antiquität ihrer Mutter, die
den alten Tisch schmückte. Die Sonne fiel durch die gelbe Bleiverglasung oben
im Fenster und tauchte den Blumenstrauß in Gold. Bette Line inhalierte den
Zigarettenrauch in tiefen Zügen. Als Georg Spenning sah, wie sein Jaguar vor
dem Gartenzaun hielt, wandte er sich zu seiner Tochter um. Sie entblößte
einen schlanken Schenkel, als sie sich erhob und, in Ermangelung eines
Aschenbechers, ihre Zigarette an der Unterseite ihres linken Absatzes
ausdrückte.
Der Chauffeur – oder Tommy, wie er gerne genannt werden
wollte – hatte den Wagenschlag geöffnet.
Als das Auto langsam unter den sonnenbeschienenen Laubbäumen
entlangfuhr, die den Weg nach Grini säumten, brach Georg Spenning schließlich
das Schweigen: »Nervös?«
Bette Line schüttelte den Kopf. »Du?«
Er ergriff ihre Hand. Sie war warm und trocken, als sie seine
Finger drückte. Bette Lines Energie war die altvertraute, und er verlor sich
in melancholischen Gedanken, denn er begriff, dass dieser gegenseitige Druck
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