Schwarzes Gold Roman
Auge. »Dicht!«, rief er, als
Martin den Motor ausschaltete und schief vom Fahrerstand herunterlächelte.
So früh im Sommer stand das Wasser niedrig. Anders und
Martin balancierten über das Geröll, suchten nach kleinen flachen Steinen und
wetteiferten um die meisten Hüpfer über die stille Wasseroberfläche.
Als die Sonne hinter der steilen Bergkuppe im Westen
verschwand, gingen sie hinein. Martin wohnte im Erdgeschoss. Das tat er, seit
seine Frau gestorben war – damals war Anders gerade zwei Jahre alt gewesen.
Die Leute sagten, dass bei Martin im ersten Stock noch alles am alten Platz
stand. Nichts war nach der Beerdigung seiner Frau angerührt worden, keine
Tasse, kein Stuhl, kein Bild an der Wand. Unter der Anrichte hatten seine
Schuhe Löcher bis auf die Dielen ins Linoleum gescheuert. Aber in der Stube
war immer für sechs gedeckt, obwohl Martin allein lebte und nur selten Besuch
bekam.
»Guter Kaffee, Anders, das ist entweder Ali-Kaffee oder
Dollar-Kaffee, nicht das Zeug, was Alfred in seinem Laden verkauft. Alfred ist
geizig. Er mischt Sägespäne unter den Kaffee.«
Martin wieherte vor sich hin. Und Anders fiel das Mitbringsel
ein, das er in der Tasche hatte: Die Flasche Dawson Whisky.
Anders schloss das Gymnasium mit einer Durchschnittsnote von
drei plus ab. Er war zufrieden. Die Note passte zu seinem Image. Renate hatte
ein Zeugnis mit dem Schnitt von eins minus. Das Minus, das Renate den Ruf der
vollkommenen Abiturientin verdarb, war ein mürrischer Gruß ihres
Deutschlehrers in der ersten Klasse am Gymnasium. Er gab ihr eine zwei, weil
sie nach fehlerfreier Beantwortung der Frage den Raum zwei Minuten vor Ablauf
der veranschlagten Prüfungszeit verließ. Vermutlich war Renate die beste
Schülerin der Schule. So war es immer gewesen. Hatten sich Mathe- oder
Physiklehrer in eine Sackgasse manövriert, half sie ihnen aus der Klemme.
Renate hatte nicht einen Tag gefehlt und war nie krank gewesen, schrecklichen
Regelschmerzen und Grippewellen zum Trotz.
Er hatte angefangen, sich über ihr politisches Engagement
aufzuregen. Für ihn war die AKP ein Forum für Leute, die zehn oder fünfzehn
Jahre älter waren als sie, Typen, die ihre Generation über politisches
Engagement definierten.
»Diese Leute sind mehr mit ihrem Selbstbild als mit Politik
beschäftigt. Da gehörst du doch gar nicht hin!«
»Anders«, sagte sie. »Überlass es einfach mir,
herauszufinden, wo ich hingehöre.«
Weder er noch sie wollten über Dinge streiten, die
Privatsache des anderen waren. Doch er hatte das Gefühl, dass das Ende des
Schuljahres eine Weggabelung darstellte, die bedeutsamer war als der Übergang
vom Schülerdasein zum weiteren Lebensweg. Sie kamen überein, dass es am
besten war, eine Beziehungspause einzulegen. Besonders Anders drängte in diese
Richtung und fing bewusst an, Dinge ohne Renate zu unternehmen. Gelegentlich
trafen sie sich auf Partys, was in der Regel damit endete, dass sie merkten,
wie wenig sie diese Veränderung eigentlich wollten. Es sollte so sein wie
früher. Dann schliefen sie miteinander. Doch im tiefsten Inneren spürten sie,
dass die Dinge sich unweigerlich verändert hatten, etwas stand zwischen
ihnen:
»Du hast dich schließlich an der Technischen Hochschule in
Trondheim beworben, du willst ja sowieso weg.«
»Es ist gar nicht gesagt, dass ich genommen werde«,
verteidigte sich Renate. Und später am Abend flüsterte sie: »Willst du
deshalb Schluss machen, weil ich mich in Trondheim beworben habe und wegziehen
muss?«
Anders antwortete nicht. Sie waren so eng verbunden gewesen,
dass er nicht an die Schule oder die Schulzeit denken konnte, ohne Bilder von
Renate vor sich zu sehen. Vielleicht fühlte er sich von der
Selbstverständlichkeit provoziert, mit der sie Trondheim als erste Wahl
angegeben hatte. Vielleicht waren diese drei Jahre mit Renate derartig von
Zweisamkeit geprägt gewesen, dass seine Reaktion nahezu körperlich ausfiel
– er brauchte Zeit für sich allein, ohne Verpflichtungen. Außerdem fehlten
ihm die Worte. Er wusste nicht, woher seine Gefühle kamen. Möglicherweise lag
sie mit ihrer Vermutung gar nicht so falsch: Vielleicht entzog er sich, um sich
an ein Leben ohne sie zu gewöhnen; um dem Schmerz und der Sehnsucht zu
entgehen, die eine Trennung mit sich brächte. Vielleicht hatte sie recht. Er
wusste es nicht. Was geschah, geschah.
So änderte sich ihre Beziehung von einem prickelnden
Gefühlsleben
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