Schwarzes Gold Roman
zu kühlen erotischen Gymnastikübungen. Die allesverschlingende
Gemeinschaft, die sie drei Jahre lang gewesen waren, die Intimität, die
gemeinsamen Unsicherheiten, die tiefe Vertrautheit und die Fähigkeit,
gemeinsam einen Schutzwall gegen die Umwelt zu errichten – all das wurde
unwichtiger, als körperliche Befriedigung zu suchen, wenn sie sich einmal
trafen. Der Leidenschaft, die sie einander schenkten, wohnte etwas
Zerstörerisches inne. Sie gingen an die Grenze. Er demütigte sie. Sie
akzeptierte die Demütigung und befriedigte ihn mit einer Serie mehr oder
weniger merkwürdiger Rollenspiele. Seine Liebe zu ihr wurde von Wut und
Verachtung ergänzt. Ihre Liebe wurde von der masochistischen Zustimmung zur
Erniedrigung ergänzt. Sie litten beide unter dieser eheähnlichen Übung, auf
eigene Faust soziale Bedürfnisse und intellektuelle Herausforderungen zu
suchen, um sich anschließend in Sinnlichkeit zu vereinen. Sie erhielt einen
Brief. Er war in Trondheim abgestempelt. Sie hatte den Studienplatz an der NTH,
Norges Tekniske Høyskole, bekommen. Ein Traum war in Erfüllung gegangen. Die
Technische Hochschule war das engste Nadelöhr der akademischen Welt. Es war
DIE Institution für Naturwissenschaftler, für analytische Gehirne. Plötzlich
geriet sie in Panik. Die Unsicherheit dämpfte ihre Ambitionen. Würde sie es
aushalten, von zu Hause (von Anders) getrennt zu sein? Sollte sie den Platz
annehmen oder absagen? Die Bedenken machten sie aggressiv und aufbrausend. Es
endete damit, dass sie den Studienplatz ablehnte. Sie bereute es schon, noch
während sie das Kreuz machte. Sie bereute es, als sie den Brief wegschickte.
Sie stand vor dem roten Briefkasten und wollte den Brief wieder herausholen.
Irgendwann ging sie nach Hause, schloss sich in ihrem Zimmer ein und starrte
die Wand an. Sie verachtete sich.
Renate begann in Oslo Soziologie zu studieren und legte
gleichzeitig die vorbereitenden Examina der Geisteswissenschaften ab. Manchmal
rief sie Anders an. Er war meistens nicht zu Hause. Wenn er zu Hause war und
selbst ans Telefon ging, legte sie auf. Gingen sein Vater oder seine Mutter
dran, war sie übertrieben höflich und behauptete, dass sie nur mal hören
wollte, wie es so ging.
»Es ist ja so dumm, mit Menschen, die man mag, den Kontakt
abzubrechen, auch wenn Anders und ich nicht mehr zusammen sind.« Sie hörte am
Tonfall der Eltern, dass sie ihnen leidtat. Nachdem sie aufgelegt hatte,
schnitt sie sich im Spiegel Grimassen und flüsterte: »Scheiße, Scheiße,
Scheiße.«
An der Universität besuchte sie regelmäßig die Treffen der
Roten Front. Sie ließ sich auf eine Beziehung mit einem proletarisierten
Maurer namens Harald ein, der in Nordstrand aufgewachsen und Sohn eines
bekannten Jura-Professors war. In Erwartung einer Proletariats-Diktatur hatte
Harald mit seiner Familie gebrochen. Er brannte für die Revolutionsarbeit. In
Parteikreisen firmierte er unter dem Decknamen Jan-Åge. Renate führte den
Decknamen Anna K, nach Anna Karenina, Tolstois Romanheldin.
Sie gründete mit Harald und ein paar anderen Freunden ein
Kollektiv. Das sprengte alle Grenzen. Sie kauften ein abrissreifes Haus im
oberen Teil von Grünerløkka. Sie liehen sich Geld. Sie waren Idealisten und
wollten eine Form des Zusammenlebens realisieren, in der Ressourcen genutzt
wurden und in der es einen Gemeinschaftsraum und eine große Küche für alle
gab. Auf diese Weise bekam ihr Idealismus einen realen Inhalt. Die politische
Agitation bekam ein handfestes Fundament, auf das man verweisen konnte, das
nicht als jugendliche Träumereien abgetan werden konnte. Mit dieser neuen Art
des Zusammenlebens setzten sie ihren Idealismus ja in die Praxis um. Das
Projekt verlangte Arbeitseinsatz von ihnen allen. Sollte das Haus zu der Vision
werden, die sie planten, mussten Renovierungen im großen Stil durchgeführt
werden. Und zu renovieren war teuer. Sie verschoben die großen Reparaturen in
der Hoffnung auf ein ökonomisches Wunder. Die Arbeit in der Wohngemeinschaft
gab Renate neue Energie. Doch manchmal hatte sie das Gefühl, dass diese
Energie sie verließ, wenn sie mit ihrem Freund zusammen war. Harald hatte
keine wilden Träume und machte nur selten Fantasiereisen. Zusammen mit Anders
hatte Renate eine intime, ganz natürliche Offenheit gepflegt. Manche
Zärtlichkeiten, mit denen sie Harald verwöhnen wollte, fand er abstoßend.
Sie wurde darüber in Kenntnis gesetzt, dass
Weitere Kostenlose Bücher