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Schwarzes Gold Roman

Schwarzes Gold Roman

Titel: Schwarzes Gold Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kjell Ola Dahl Anne Bubenzer
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es bei Sexualität um das
Eindringen des Mannes in die Vagina der Frau ginge – anders gearteter Sex sei
moralisch verwerflich. Schliefen sie miteinander – wenn es also mal dazu kam
–, dann war es eine heilige Handlung, so besonders, dass es genauester
Vorbereitung bedurfte. Es musste im Dunkeln stattfinden, mit Kerzen für die
Stimmung.
    »Au, Mist, ich hab mich am Streichholz verbrannt.«
    »Was machst du denn?«
    »Ich suche nach der Platte, wir müssen doch Musik
haben.«
    Sie blieb liegen und betrachtete die Gestalt, die mit krummem
Rücken eine LP nach der anderen aus dem Regal unter dem Fenster zog – auf
der Suche nach
der besonderen Platte
, die ihn in die Lage versetzen
würde, ihre Umarmung genießen zu können. Sie fragte sich, ob sie diese
Rituale satt hatte, oder ob sie sie für ihn einnahmen. Während er im Bett
gehemmt war, trug er eine prahlerische Selbstsicherheit zur Schau, wenn sie in
der Stadt oder mit anderen Parteimitgliedern zusammen waren. Sie spürte die
Essenz seines Verlangens intuitiv: Sie war seine Trophäe. Dass er die Tochter
des Ministers besiegt hatte, ließ ihn als Proleten in noch größerem Glanz
erstrahlen. Das begriff sie resigniert – sagte sich, dass es Einbildung war
und dass nur die schönen Augenblicke, die sie teilten, von Bedeutung waren. In
der Zwischenzeit kompensierte sie ihre sexuelle Unzufriedenheit mit politischen
Ämtern.
    Anders hatte sich immer als Schauspieler in einem Drama
verstanden, bei dem die Umstände Regie führten. Zu Hause, das war ein Ort, an
dem man sich eine Maske aufsetzte und versuchte, die Rolle des Tages so gut wie
möglich zu spielen. Er hatte eine Mutter, die hart mit sich rang, um den
Alltag zu bestehen, um einfach nur ein Gespräch führen zu können. Ihre
Arbeit hatte sie aufgegeben. Die offizielle Begründung war Vebjørns guter
Verdienst – genug, um alle zu ernähren. Der wahre Grund aber war, dass sie
mit ihren Kollegen nicht zurechtkam. Da sie nicht in der Lage war, sich zu
konzentrieren, wurde über sie getratscht. Sie durchschaute das, es
beeinträchtigte sie und sie bewertete es über. Sie entwickelte paranoide
Züge. Jeder noch so kleine Blick wurde als Tratsch und Verschwörung
interpretiert. Sie musste sich sehr zusammennehmen, um diese Symptome nicht auf
ihr Zuhause zu übertragen. Langsam, aber sicher hatte sie eine Sozial-Phobie
entwickelt.
    »Mama, es klingelt.«
    »Was sagst du, mein Schatz?«
    »Das Telefon klingelt. Du sitzt direkt daneben.«
    »Ich höre so schlecht, kannst du nicht drangehen, wo du
schon mal da bist.«
    Sah sie einen Nachbarn auf der Straße, versteckte sie sich
hinter einem Busch im Garten oder eilte ins Haus, um nicht mit dem Betreffenden
sprechen zu müssen. Sie versuchte ihr Weltbild aufrechtzuerhalten, indem sie
ihr Dasein mit Routinehandgriffen überfrachtete – Hausarbeit, Hausarbeit,
mehr Hausarbeit und noch mehr Hausarbeit und ihr ewiges Hobby:
Ahnenforschung.
    »Sag mal, was hast du eigentlich mit diesem Stammbaum vor,
Mama?«
    »Eines Tages wirst auch du wissen wollen, wer du bist und wo
du eigentlich herkommst.«
    Auch wenn Vebjørn trocken blieb, nachdem er bei Spenning AS
angefangen hatte, glaubte Anders dennoch nicht an Wunder. Zwar waren mehrere
Monate vergangen, ohne dass sein Vater rückfällig geworden war, doch Anders
wartete nur darauf, dass Vebjørn zusammenbrach und sich in das regelmäßige
große Abreagieren
stürzte – eine Katharsis, die sich in einem
ausgewachsenen Rausch manifestierte.
    Doch die Zeit verging, und der Zusammenbruch blieb aus.
Anders wusste, dass sein Vater sich Antabus hatte implantieren lassen, er
hörte, wie die Mutter Loblieder auf das eingetretene Wunder sang, doch er
glaubte nicht daran. Zu gut erinnerte er sich an die Zeit, als Vebjørn etwas
Ähnliches ausprobiert hatte, damals waren es Aversan-Tabletten. Sie sollten
seinen Vater auch vom starken Stoff fernhalten. Doch die Pillen schafften es
nicht. Anders glaubte auch nicht an das Ding, das seinem Vater unter die Haut
gesetzt worden war. Er wusste, dass die Trunksucht seines Vaters dazu diente,
die Schmerzen zu lindern, die sich von offenen Wunden im Unterbewusstsein
ausbreiteten – dazu kamen ein schwacher Wille und psychische Labilität.
    Um sich herum sah Anders nur unterschiedliche Formen von
Betrug. Die Fassade seines Vaters war Betrug, das Familienidyll war Betrug.
Doch er wollte raus aus diesem Betrug. Er weinte im Kino, als Chief

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