Schwarzes Prisma
Wunder. Offensichtlich bestanden sie im Wesentlichen aus blauem Luxin, aber es konnte heller oder dunkler sein, und es musste anscheinend mit Gelb gemischt werden. Um zusätzlicher Stärke willen? Das musste es sein, wenn man bedachte, dass die ganze Brücke aus dieser Mischung gemacht war. Und jede Mauer des Sechsecks, das die Türme bildeten, war unterschiedlich. Überall sah man, dass Blau und Gelb im Spiel waren, aber jedes Mal mit anderen Nuancen. Zwar waren die Nordseiten der Türme allesamt durchsichtig, aber den Rest jeden Turms hatten seine jeweiligen Eigentümer so gestaltet, dass sofort erkennbar war, wer darin wohnte. Ein wenig Angeberei war dabei gewiss auch mit im Spiel. Jede Oberfläche des blauen Turms war wie ein riesiger Saphir gearbeitet, so dass der gesamte Turm von tausend Oberflächen glänzte, ganz gleich, aus welchem Winkel man ihn betrachtete. Der infrarote Turm schien über seinem Fuß aus miteinander verwobenem Blau, Gelb und Grün zu brennen. Illusorische Flammen züngelten drei bis sieben Meter an dem Luxin hoch und sprühten gelegentlich Funken. Und darüber schien der Turm sich zu kräuseln wie die Luft über einem Feuer.
Kip stolperte, als sie in den zentralen Innenhof gelangten. Er betrachtete seine Füße. Große Rillen durchschnitten den Boden in einem breiten Bogen und verbanden die Tore miteinander. Aber die Tore, die Kip passiert hatte, schlossen sich nicht gleitend, sondern einfach wie normale Türen an Angeln. Verwirrt sah er Eisenfaust an.
»Glasblume«, sagte Eisenfaust.
»Hm?«
»Was tun Blumen?«
Hübsch aussehen? »Äh …«
Eisenfaust schien sich darüber zu freuen, dass er ihn sprachlos gemacht hatte. »Im Hinblick auf die Sonne.«
»Sie öffnen sich?«
»Und wie würde das bei einer Gruppe von Gebäuden funktionieren?«
Kip dachte darüber nach und gab es auf.
»Überhaupt nicht«, sagte Eisenfaust.
»Oh. Dann …«
»Versuch es noch mal.«
»Gebt Ihr eigentlich jemals direkte Antworten auf Fragen?«, fragte Kip.
»Nur meinen Vorgesetzten.« Was, wie Kip begriff, eine direkte Antwort war. Er zog die Nase kraus, zu eingeschüchtert von Eisenfaust, um darauf hinzuweisen, aber das Zucken der Mundwinkel des großen Mannes sagte ihm, dass er es wusste. »Blumen folgen der Sonne vom Morgen bis zum Abend«, erklärte Eisenfaust, und vielleicht sollte es eine Art Entschuldigung sein.
Kip betrachtete abermals die Rillen, während er und Eisenfaust sich dem zentralen Gebäude näherten. Bevor die Straße auf das Tor traf, verbreiterte sie sich – sie wurde so breit, dass der größte Teil davon einfach in einem weiten Halbmond an die Mauer grenzte. »Ihr meint, das ganze Ding dreht sich?« Es war das Einzige, was einen Sinn ergab, begriff Kip. Wenn die Gebäude auf der Nordseite alle durchsichtig waren, würden sie nur mitten am Tag das Sonnenlicht zur Gänze nutzen können, aber wenn das gesamte Gelände sich drehte, würden sie von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang maximales Licht bekommen. Aber die ganze Chromeria? Unmöglich!
»Da wären wir«, sagte Eisenfaust.
Kip drehte den Kopf wieder nach vorn, als sie vor einem riesigen, silbrigen Tor stehen blieben. Es war ebenso schlicht, wie alles andere hier kunstvoll war.
Zwei Wachen standen zu beiden Seiten des Tores, bekleidet mit voller Spiegelrüstung, jeweils ausgestattet mit einem Schwert und einer Luntenschlossmuskete, die beinahe so hoch war wie Kip selbst. »Hauptmann Eisenfaust«, begrüßten sie Kips Begleiter.
»Endlich«, sagte Eisenfaust und schob Kip hinein. »Du wirst gleich die Mangel kennenlernen.«
36
Begegnungen mit seinem Bruder waren stets eine Übung in Täuschung.
Gavins verspannte Brust lockerte sich nicht beim Anblick seines Bruders. So war es immer. Er hätte ihn vor Jahren töten sollen. Wie einfach das gewesen wäre. Wie einfach es immer noch sein könnte. Er brauchte lediglich aufzuhören, Brot in die Rutsche zu werfen. Einfach so würde sein Problem sich in Luft auflösen. Er dachte jeden Morgen daran, nach jeder schlaflosen Nacht. Aber dies war sein Bruder. Er hatte ihn in der Hitze der Schlacht nicht getötet, wie konnte er ihn mit kaltem Blut töten?
Sieben Jahre, sieben Ziele. Zwei erledigt, fünf noch zu erreichen.
Dreimal schon hatte er »Erzähl Karris alles« auf die Liste gesetzt. Nicht nur, dass er sie liebte. Er sollte ihr auch hiervon erzählen. Dass sein Bruder nicht tot war, dass er hier war. Dass so vieles auf Lügen gründete. Sie verdiente es, das zu
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