Schwarzes Prisma
Investition, die jede Satrapie mit Freuden tätigte, denn Wandler waren von größter Bedeutung für ihre Wirtschaft und ihr Militär. Aber Tyrea hatte nichts. Die korrupten fremdländischen Gouverneure von Garriston schickten jedes Jahr eine jämmerliche Summe. Jene Schüler, die aus Tyrea kamen, mussten ihre Ausbildung meist selbst bezahlen. Die Reichtümer der Familie Danavis waren während des Krieges beschlagnahmt worden, also hatte Liv, nur um in der Chromeria bleiben zu können, ihre Dienste an einen ruthgarischen Patron verpfändet.
Wenn Liv aus irgendeiner anderen Satrapie stammte, hätte ihr Botschafter ihren Gönner gezwungen, für ihre Ausbildung zur Bichromatin zu zahlen oder ihren Kontrakt aufzulösen. Aber es gab keinen tyreanischen Botschafter mehr. Es gab einen offiziellen Förderungstopf für »Härtefälle« wie ihren, aber dieser war schon vor langer Zeit zu einer Anhäufung von Schmiergeldern für Bürokraten geworden, mit denen sie ihre Favoriten belohnten. Tyrea hatte keine Stimme, keinen Platz.
»Liv hat diese Frage gestellt, weil sie eine gelb-ultraviolette Bichromatin ist«, sagte Vena.
Gavin drehte sich um und sah sie an. Vena war Künstlerin und auch wie eine solche gekleidet. Knabenhaft kurzes Haar, künstlerisch zerzaust, jede Menge Schmuck und Kleider, die sie selbst schneiderte. Oft konnte man nicht einmal erkennen, die Mode welchen Landes sie sich gerade zum Vorbild nahm, wenn sie überhaupt so etwas wie ein Vorbild brauchte. Und obwohl sie nicht hübsch war, war sie immer auffällig und sah – zumindest Livs Meinung nach – großartig aus. Heute trug Vena ein selbstgeschneidertes, fließendes Kleid mit Silberstickerei am Saum, die an die zoomorphischen Entwürfe der Baumleute erinnerte. Die Muster im sichtbaren Spektrum wurden geschickt im Ultraviolett wiederholt.
»Du bist eine wunderbare junge Frau«, sagte Gavin zu Vena, »und eine gute Freundin. Dein Kleid gefällt mir.« Während Vena dunkelrot anlief, wandte Gavin sich an Liv. »Ist das wahr?«
»Nein, das ist es nicht«, meldete sich Magistra Golddorn zu Wort. »Livs Mangel-Resultat war nicht eindeutig, und seither hat sie keine weiteren Fähigkeiten gezeigt.«
Liv zog die zerbrochene gelbe Brille hervor – tatsächlich nur ein Monokel –, die sie vor zwei Jahren heimlich gekauft hatte. Sie klemmte sie sich vor ein Auge, spähte hindurch und starrte auf den weißen Stein des Turms des Prismas. Binnen eines Augenblicks füllte gelbes Luxin ihre offenen Hände.
Es schwappte umher wie Wasser. Der natürliche Zustand von gelbem Luxin war flüssig. Es war das instabilste aller Luxine, nicht nur gegen Licht empfindlich, sondern auch gegen Bewegung. Bestenfalls konnte es im Wesentlichen für zwei Dinge benutzt werden: Wenn man es in flüssiger Form hielt, ergab es großartige Fackeln. In einer dünnen, versiegelten Schicht konnte es außerdem andere Luxine langsam mit Licht nähren und sie auf die gleiche Weise frisch halten, wie Lanolin und Bienenwachs Leder verjüngten.
Liv schleuderte die Flüssigkeit weg. Sie erreichte nicht einmal den Boden, sondern begann mitten in der Luft zu reinem, gelbem Licht zu verkochen.
Magistra Golddorn stotterte: »Das ist unerhört! Es ist dir verboten, Gelb zu wandeln …«
»Es ist dir verboten«, fiel Gavin der Magistra ins Wort, »die Gaben zu vergeuden, die Orholam dir geschenkt hat. Du bist Tyreanerin, Aliviana?«
Magistra Golddorn erstarrte. Man unterbrach das Prisma nicht, nicht zweimal.
»Ja«, bestätigte Liv. »Tatsächlich stamme ich aus einer kleinen Stadt nicht weit entfernt von den Getrennten Felsen. Rekton.«
Seine Augen schienen für eine Sekunde aufzublitzen, aber möglicherweise hatte Liv sich das nur eingebildet, denn er fragte: »Wie lange hast du in der Mangel ausgehalten?«
»Zwei Minuten und fünf Sekunden«, antwortete sie. Das galt als eine sehr lange Zeit.
Er sah sie durchdringend an. Dann wurde seine Miene weicher. »So halsstarrig wie dein Vater also. Ich habe kaum mehr als eine Minute geschafft. Gut gemacht. Also … Ultraviolett und Gelb. Seht euch das an.« Er streckte beide Hände aus.
Die Pupillen aller Mädchen verengten sich zu winzigen Öffnungen. Ultraviolettes Licht war für normale Augen unsichtbar. Selbst eine Frau, die Ultraviolett wandelte, würde es nicht sehen, es sei denn, sie suchte danach. »Ihr habt in eurem Unterricht – zweifellos bis zum Erbrechen – geübt, Botschaften aus ultraviolettem Luxin zu wandeln.«
Und ob sie
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