Schwarzes Prisma
während andere erröteten.
»Es gibt noch ein paar andere spezielle Methoden, wie ihr Ultraviolett beim zweifarbigen Wandeln einsetzen könnt. Weiß irgendjemand etwas?«, fragte Gavin.
Ana hob unsicher die Hand. Er nickte. »Zur Fernsteuerung?«
»Das ist richtig. Man muss sein Ultraviolett offen lassen, und je länger man den Faden macht, desto schwerer ist er zu kontrollieren. Es ist wie der Versuch zu jonglieren, wenn man die Bälle nicht sehen kann. Aber …« Er breitete die Hände aus, ein Wirbel von Farben durchlief seine Augen, und er hielt einen roten Ball, einen gelben Ball, einen grünen, einen blauen und einen orangefarbenen in Händen. Liv sah ihn abermals zusammenzucken, als sei ein Muskel in seinem Rücken gezerrt. Dann begann er zu jonglieren. Die Mädchen – alle sechs und sogar Magistra Golddorn – schnappten nach Luft. Zum einen, weil einige Bälle zum Jonglieren völlig ungeeignet sein mussten. Orange war glitschig, ölig. Rot war klebrig. Gelb war flüssig. Zum anderen, weil es immer beeindruckend war, jemanden mit fünf Was-auch-immer jonglieren zu sehen.
Oh. Liv verstand. Jeder Ball hatte eine sehr dünne, blaue Luxin-Hülle, die gefüllt war mit Luxin von einer anderen Farbe.
Gavin schloss die Augen und jonglierte weiter. Unmöglich. Gab er lediglich an? Nein, er gab an, aber nicht nur, sondern er unterrichtete auch.
»Ah«, meinte Liv erfreut.
»Jemand hat es verstanden«, sagte Gavin und öffnete die Augen. »Wie kann ich mit geschlossenen Augen jonglieren?«
»Ihr seid das Prisma. Ihr könnt alles tun«, murmelte eins der Mädchen.
»Danke, man hat mir den ganzen Tag noch nicht den Hintern geküsst, aber trotzdem falsch.«
Hat er das gerade wirklich gesagt? »Ihr jongliert nicht«, erklärte Liv, die sich als Erste erholte.
Gavin nahm die Hände von den umherwirbelnden Bällen. Sie folgten weiter demselben kunstvollen Muster. Alle kniffen die Augen zusammen und sahen das ultraviolette Luxin, das durch sämtliche Bälle verlief. Die Bälle folgten einfach der unsichtbaren Fährte. »Das ist richtig. Wenn es einen sichtbaren Grund gibt, selbst wenn er erstaunlich ist, kann man ein unsichtbares Phänomen direkt vor der Nase eines anderen verstecken. Das ist die Macht von ultraviolettem Luxin. Aliviana, wirst du mir einen Gefallen tun?«
»Natürlich.«
Er lächelte. »Gut. Ich werde dich beim Wort nehmen.« Er drehte sich um. Auf der Rückseite seines Hemdes war ein dunkler Fleck. War das Blut? Sollte Liv etwas sagen? »Magistra Golddorn, es tut mir leid, aber ich muss gehen. Ich schulde Euch noch immer eine halbe Unterrichtsstunde, und Ihr werdet sie bekommen. Wenn Ihr derweil die maßgeblichen Beamten verständigen würdet, dass Aliviana Danavis ab sofort als ultraviolett-gelbe Bichromatin anerkannt ist. Ihre Unterweisung wird unverzüglich beginnen. Ich wäre … enttäuscht, wenn sie in einem weniger anständigen Stil ausgestattet würde als der durchschnittliche ruthgarische Bichromat. Die Kosten sollten aus den Finanzen der Chromeria bestritten werden. Wenn jemand ein Problem damit hat, schickt ihn zu mir.«
Liv vergaß Gavins Hemd sofort. Sie konnte nicht glauben, was sie soeben gehört hatte. Mit wenigen Sätzen hatte das Prisma alles verändert. Hatte sie befreit. Eine Bichromatin! Sie hatte soeben ein Leben, in dem sie für irgendeinen hinterwäldlerischen Adligen Briefe schrieb, gegen ein Leben getauscht, von dem nur Orholam wusste, wie es aussehen würde. Sie glaubte, sie würde es sich nur einbilden, bis sie auf Magistra Golddorns Gesicht genau den gleichen verblüfften Ausdruck entdeckte. Es war real. Der zweite Teil seiner Bemerkung brauchte nur einen Moment länger, um zu ihr durchzudringen. Liv sollte auf Kosten der Chromeria in einem Stil leben, der dem eines ruthgarischen Bichromaten entsprach. Und die Ruthgari gaben ihren Wandlern luxuriösere Wohnungen als jeder andere. Es war alles Teil ihrer Strategie, die größten Talente anzulocken.
Wenn Liv ihre Karten halbwegs richtig ausspielte, konnte sie dieser Aglaia Crassos, dieser Höllensteinharpyie, entfliehen.
Gavin lächelte sie an, eine schurkische, jungenhafte Freude, in die sich etwas Tieferes mischte, das Liv nicht deuten konnte. Dann ging er.
Aber während sie ihm nachsah, wie er die Treppe hinunter verschwand, erfüllte Liv ein vages Unbehagen. Sie hatte heute alles bekommen, was sie sich erhoffen konnte, und alles, von dem sie nicht recht gewagt hatte, es sich zu erhoffen. Aber es war noch
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