Schwarzes Prisma
Farbe zu strahlen, die sie wandelten. Bei Liv war es zuerst Ultraviolett gewesen, dann ein schwaches Gelb.
Die ganze Zeit, während Liv hier gewesen war, hatte das Prisma den Kristall beobachtet, um zu sehen, wie sich sein Bastard hielt. Wenn die Prüfung, so überlegte sie, im Gange war, seit Gavin Guile zum ersten Mal hinter Liv geschaut hatte, dauerte es wirklich lange. Im Allgemeinen dauerte es weniger als eine Minute.
Sie beide wandten sich um, um den Kristall zu betrachten. »Was hat der Prüfer gesagt, als er dich in die Mangel geschickt hat?«, fragte Gavin.
»Er sagte etwas darüber, dass nur ein toter Rebell ein guter Rebell sei und dass er meinem Vater immer noch Blut schulde«, antwortete Liv. Der Sinn der Sache war wie immer der gewesen, dem Prüfling Angst zu machen. Furcht weitete die Augen. Furcht ließ einen Bittsteller seine Kräfte bis zum Äußersten ausnutzen, um zu wandeln. Sie half außerdem selbst der arrogantesten jungen Lady oder dem dreistesten kleinen Lord, ihre Studien mit ein wenig Demut zu beginnen.
»Wie war es bei Euch?«, fragte Liv. Keiner von beiden wandte sich von dem Kristall ab.
»Etwas über meinen Bruder«, sagte Gavin. »Es stellte sich heraus, dass sie richtiger lagen, als sie es wissen konnten.«
»Das tut mir leid«, erwiderte Liv. Sie war sich nicht sicher, ob sie sich für ihre Frage entschuldigte, für den Prüfer oder für den realen Albtraum, den Gavin später durchlebt hatte, als er seinen eigenen Bruder töten musste.
»Dieser Teil, ihnen Angst zu machen, hat mir nie gefallen. Die Mangel ist erschreckend genug, und der Gedanke an ein Scheitern ist es ebenfalls. Sie brauchen die Bittsteller nicht auf die Idee zu bringen, dass sie wirklich sterben könnten. So etwas bricht Menschen. Es bricht Kinder.«
So hatte Liv es nie betrachtet. Die Mangel war einfach, was sie war. Alle durchliefen sie. Sie war ein Teil des Wandelns der Chromeria. Wenn schon nichts anderes, so hatten alle Wandler gemeinsam, dass sie in die Mangel genommen worden waren.
»Die adligen Mädchen wussten alle, was kommen würde«, sagte Liv. »Im Gegensatz zu uns übrigen. Sie wussten, dass die Prüfung selbst ihnen nicht wehtun würde, so dass die wenigen Worte vor dem Test das Einzige waren, was ihnen Angst gemacht hat. Denn selbst wenn sie gewarnt worden waren, ist es erschreckend zu hören, wenn ein Prüfer behauptet, er gehöre zu den Feinden der Familie des Prüflings, und Unfälle kämen eben vor, unweigerlich.«
»Daran hatte ich überhaupt nicht gedacht«, sagte Gavin. »All meine Freunde waren Adlige. Ich dachte, alle wüssten, was auf sie zukommt.«
Natürlich dachtet Ihr das. Es ist einfach eine weitere Methode, wie die Chromeria euresgleichen begünstigt.
Gavin räusperte sich. »Liv, mein Sohn könnte etwas Besonderes sein, wirklich begabt. Wir werden es gleich herausfinden, aber es würde mich nicht überraschen, wenn er ein Polychromat wäre. Er ist Tyreaner, seine Mutter ist gerade gestorben, er wird, einfach weil er mein Sohn ist, auf falsche Freunde und unverdiente Feinde stoßen; er wird nirgendwo hineinpassen, und doch werden die Menschen ihn ständig beobachten. Wenn er obendrein noch wahrhaft mächtig ist … Er könnte sich in ein Ungeheuer verwandeln. Er wäre nicht der Erste in meiner Familie, der mit großer Macht schlecht umgeht. Dieses Geschenk ist kein reines Geschenk, musst du wissen.«
»Was soll ich für Euch tun?«, fragte Liv. Würde sie wirklich dem Sohn des Prismas als Tutorin dienen? Er war ein Bastard, aber trotzdem. Sie hatte das Gefühl, als sei ein riesiges Gewicht von ihr genommen worden. Das Prisma war einfach das Prisma – nun, vielleicht gab es nichts Einfaches daran, der mächtigste Mann der Welt zu sein –, aber er war ein Lord, dem sie ihren Dienst schuldete. Normalen Dienst. Etwas, das nicht schrecklich schwierig war, wenn man bedachte, wie gründlich er ihr Leben verändert hatte.
»Vielleicht wird er ein Monochromat sein. Wahrscheinlich wird er einer sein. Ich greife mir selbst voraus«, sagte Gavin.
»Aber wenn es nicht so ist? Ihr müsst mich wissen lassen, was Ihr von mir erwartet, oder ich werde scheitern – und dann werdet Ihr mir deswegen böse sein.« Typisch Adliger. Liv fühlte sich gut bei der Erkenntnis, dass sie in der Lage war, sich zu ärgern. Sie fand langsam die Orientierung wieder.
»Tu so, als sei er normal. In jeder Hinsicht. Ich weiß, er würde es ziemlich schnell herausfinden, wenn wir blieben, aber ich
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