Schwarzes Prisma
in Scharen hereingeströmt kamen, Wein, Schnaps, spezielle Kuchen, Früchte, Fleischspeisen und Süßigkeiten herein.
Gavin ließ den Jungen los, der ihn ansah, als stehe er vor einem vollkommenen Rätsel, als könne er nicht glauben, was Gavin gerade gesagt hatte. Auch ein Teil davon war die Magie. Die gefühlsmäßigen Auswirkungen eines jeden Teils des Spektrums waren gerade zum allerersten Mal durch Kip hindurchgelaufen. Er wusste noch nicht, was er mit den Nachwirkungen anfangen sollte. Das dauerte seine Zeit.
Gavin gab Aliviana, die an der Tür stand, ein Zeichen. »Kip«, sagte Gavin. »Ich habe dir jemand ganz Besonderen mitgebracht. Eine Überraschung für dich. Sie wird deine Mentorin sein. Sie wird dir erklären, wie die Dinge funktionieren, und dich bis zu unserem Aufbruch einige der grundlegenden Dinge lehren. Kip, darf ich dich bekannt machen mit …«
»Liv?!«, fragte Kip, als das Mädchen hinter Gavin hervortrat.
»Kip!«
»Warum führst du ihn nicht gleich in sein Zimmer hinauf, Liv?«, schlug Gavin vor. »Und denk an das, was ich gesagt habe.«
Kip war immer noch wie in Trance, also ergriff Liv seine Hand und drehte sich um, um ihn zur Haupttür zu führen. Zweifellos würde sich dort eine Menschenmenge versammelt haben. Es war nicht nötig, dass Kip dachte, irgendetwas sei anders als normalerweise.
»Warum geht ihr nicht durch die Hintertür?«, fragte Gavin. Er drehte sich um und warf Ultraviolett an die gegenüberliegende Wand. Ein Teil der Wand sprang auf zuvor verborgenen Angeln auf.
Liv führte Kip durch die Hintertür hinaus.
Hauptmann Eisenfaust und Luxlord Schwarz kamen durch die Vordertür.
»Luxlord, Mistress, Hauptmann, Magister«, sagte Gavin und machte eine freundliche Handbewegung zum Zeichen, dass er im Moment einfach zu beschäftigt war, um mit Eisenfaust oder Luxlord Schwarz zu sprechen. Er ging selbst auf die Hintertür zu. Er musste Kip jetzt holen. Er hätte dem Jungen befehlen sollen, außerhalb des Raums zu warten, statt ihn nach oben zu schicken.
Gavin trat durch die Hintertür, verfasste im Geiste bereits den Brief, den er für die Weiße zurücklassen würde, und rannte beinahe einen dunkelhäutigen, unterwürfigen kleinen Mann in einer Sklavenrobe um. Er erkannte den Mann, und das Herz sank ihm in die Kniekehlen.
»Seid mir gegrüßt, Lord Prisma«, sagte der kleine Mann, dessen Kopftuch so steif gestärkt war, dass es sich kaum bewegte, als er den Kopf neigte. Er war ein parianischer Legalist gewesen, bevor ilytanische Piraten ihn gefangen, versklavt und schließlich an Andross Guile verkauft hatten. Genial und diskret, war er seit zwanzig Jahren Andross Guiles rechte Hand. »Euer Vater wird Eurer Verzögerungen müde. Er verlangt, dass Ihr Euch unverzüglich in seinen Gemächern einfindet.«
Bei Andross Guile bedeutete »unverzüglich« gestern. Gavin wand sich innerlich, bewegte den Kopf nach rechts und links und antwortete: »Bringt mich zu ihm.«
46
Kip folgte Liv Danavis durch einen schmalen Flur und dann hinaus zu einem Aufzug. Ihm schwirrte immer noch der Kopf, und er erlebte einen Aufruhr der Gefühle, die nicht gänzlich seine eigenen zu sein schienen, so als würden irgendwie zusätzliche Gefühle in ihn hineingepresst. Es fühlte sich fremd an. Vielleicht lag es einfach daran, Liv zu sehen. Er hatte gewusst, dass sie in der Chromeria war, und gehofft, sie zu sehen, seit er erfahren hatte, dass er hierherkommen würde, aber sie tatsächlich vor sich zu sehen, war etwas anderes.
Meister Danavis hatte ihn viele Briefe seiner Tochter lesen lassen, also fühlte es sich in mancherlei Hinsicht nicht so an, als seien zwei volle Jahre vergangen, seit sie fortgegangen war. Aber damals war sie fünfzehn gewesen, er dreizehn. Anscheinend war er seither gewachsen, denn endlich war er größer als sie. Natürlich war er immer noch auch ungefähr dreimal so breit wie sie. Wenn überhaupt, so war sie noch schöner, als sie es damals gewesen war.
Während sie ihn durch den Flur und zu einem Aufzug führte, sagte sie kein Wort. Kip war dankbar für das Schweigen. Er glaubte nicht, dass er seine Zunge hätte finden können. Ein seltsames, stilles Glück und ein Gefühl des Friedens breiteten sich bei ihrem Anblick in ihm aus. Er erinnerte sich an die Zeit, als sie vierzehn Jahre alt gewesen war und in der Stadt das Gerücht die Runde gemacht hatte, dass sie mit Ged, dem Sohn der Alkaldesa, verlobt werden solle. Kurz darauf war sie zur Chromeria aufgebrochen.
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