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Schwarzes Prisma

Schwarzes Prisma

Titel: Schwarzes Prisma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brent Weeks
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standen offen.
    Jedes Mal. Jedes verdammte Mal. Wenn die Fenster seines Vaters nicht verriegelt und mit mehreren Schichten Stoff bedeckt wären, wäre Gavin aus einem Fenster gesprungen. Tatsächlich war es eine dieser Situationen gewesen, die ihn dazu veranlasst hatte, zum ersten Mal eine Haube zu wandeln. Wann immer er auch nur von der kürzesten Reise zurückkehrte, schien es, als verbringe er den ganzen Tag damit, sich mit einer wichtigen Person nach der anderen zu treffen. Das war alles, was er tat – Leute treffen, und jeder Einzelne von ihnen hatte Forderungen an ihn.
    Nichtsdestoweniger trat Gavin durch die offenen Türen in die Räume seiner Mutter. Die Kammersklavin war ein junges tyreanisches Mädchen, wenn man Rückschlüsse aus ihren dunklen Augen, ihrem dunklen Haar und der kopifarbenen Haut ziehen durfte. Gavin gab ihr ein Zeichen, dass sie die Türen hinter ihm schließen könne. Seine Mutter hatte ein großes Talent für die Ausbildung von Sklavinnen: Selbst ein Mädchen, das wie dieses hier kaum älter als zehn war, wartete aufmerksam und reagierte auf das kleinste Zeichen. Natürlich war Gavin in dieser Hinsicht nicht so anders, oder?
    »Mutter«, sagte Gavin. Als er näher kam, stand sie auf. Er küsste ihre mit vielen Ringen geschmückten Finger, und sie lachte und umarmte ihn, wie sie es immer tat.
    »Mein Sohn«, erwiderte sie. Felia Guile war eine attraktive Frau von Anfang fünfzig. Sie war eine Cousine der atashischen Königsfamilie gewesen, und in ihrer Jugend hatten die atashischen Adelsfamilien selten Fremdländer geheiratet. Andross Guile war natürlich ein Sonderfall gewesen. Das war er immer. Sie hatte die klassische, auffallende atashische Mischung von olivfarbener Haut und kornblumenblauen Augen, obwohl ihre Augen einen breiten Halo aus dumpfem Orange um die Iris hatten. Sie war eine Orangewandlerin gewesen – obwohl sie kein großes Talent hatte, hätte Andross niemals eine Frau geheiratet, die nicht wandeln konnte. Schlank trotz ihres Alters, war Felia majestätisch, modisch, zufrieden mit sich selbst und durchsetzungsstark, ohne herrisch zu sein. Außerdem war sie schön und warmherzig.
    Er hatte keine Ahnung, wie sie es ertragen konnte, mit seinem Vater verheiratet zu sein.
    Sie schnippte mit zwei Fingern der linken Hand und entließ die Kammersklavin, ohne den Blick von Gavin abzuwenden. »Also, ich höre ein Gerücht, dass du einen … Neffen hast.«
    Gavin räusperte sich. Wie schnell verbreiteten sich Nachrichten hier eigentlich? Er schaute sich im Raum um. Die Sklavin war fort. »Das ist richtig.«
    »Ein leiblicher Sohn«, sagte Felia Guile und presste für einen Moment die Lippen zusammen. Sie würde niemals »Bastard« sagen. Bei ihrer gewaltigen Palette von Gesichtsausdrücken brauchte sie das auch nicht zu tun. Im Lauf der Jahre hatte sie Orange sowohl mitfühlender als auch argwöhnischer werden lassen. Im Verein mit ihrer natürlichen Intuition und Intelligenz machte es sie zu einer recht ehrfurchtgebietenden Erscheinung.
    »Das ist richtig. Er ist ein guter junger Mann. Sein Name ist Kip.«
    »Fünfzehn Jahre alt?« Sie sagte nicht: Also hast du deine Verlobte betrogen, die Frau, die ich dich während der letzten sechzehn Jahre zu heiraten gedrängt habe. Felia liebte Karris. Andross Guile hatte sich mit Macht dagegengestellt, dass Gavin eine Frau heiratete, deren Familie nichts besaß – und Karris’ Familie besaß nach dem Krieg nichts mehr. Es war einer der wenigen Punkte, in denen Gavins Mutter seinem Vater weiterhin getrotzt hatte. Wenn sie unterschiedlicher Meinung waren, machte sie ihre Einwände im Allgemeinen mit Nachdruck und Beredsamkeit klar und fügte sich dann jeder Entscheidung, die Andross traf. Nicht wenige Male hatte Gavin Andross seine Meinung ändern sehen, nachdem seine Mutter so kunstvoll kapituliert hatte. Die Uneinigkeit in Bezug auf Karris Weißeiche war jedoch mit Geschrei, zerschmettertem Porzellan und Tränen einhergegangen. Gavin dachte manchmal, dass Andross nachgegeben hätte, wäre er während dieses Streits nicht zugegen gewesen, aber der Mann konnte vor niemandem das Gesicht verlieren, erst recht nicht vor seinem Sohn, der ohnehin gegen seine Grenzen ankämpfte.
    »Das ist er«, bestätigte Gavin.
    Felia faltete die Hände und betrachtete sein Gesicht. »Also, ist seine Existenz für dich eine genauso große Überraschung wie für alle anderen, oder ist sie für dich eine noch größere Überraschung?«
    Ein Schauer schoss

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