Schwarzes Prisma
loszuwerden. »Ich werde helfen, so gut ich kann, während ich meine religiösen Pflichten erfülle, aber …« Er räusperte sich abermals. Sieben Jahre, sieben große Ziele. Hier habe ich ausnahmsweise einmal versucht, etwas Gutes zu tun. »Ich bin gescheitert, Corvan. Befiehl die Evakuierung.«
76
Nach der kalten Luft zu schließen, die an seiner Haut leckte, war es weit nach Mitternacht, als Kip durch irgendeine Art von Tor eskortiert wurde. Er musste die Tageszeit anhand der Temperatur ermitteln, weil er eine Augenbinde trug, außerdem einen schwarzen Sack über dem Kopf und eine Schlinge um den Hals. Seine Hände waren ihm hinter dem Rücken gefesselt.
Einer der Wachposten, der ihn begleitete, fluchte leise, aber anhaltend, eingeschüchtert von etwas, das sich anscheinend Leuchtwassermauer nannte. Sie gingen langsam hindurch, blieben stehen und setzten sich wieder in Bewegung. Eine militärisch klingende Stimme brüllte: »Steht nicht da rum und kratzt euch am Hintern. Geht tiefer ins Lager hinein. Ihr versperrt allen anderen den Weg.« Kip hörte das Klatschen einer Peitsche wie einen Pistolenschuss, und alles setzte sich wieder in Bewegung.
Die letzten Tage waren genauso gewesen. Kip war in Dunkelheit erwacht – Dunkelheit, die sich als Augenbinde entpuppte, die Hände an den Seiten gefesselt. Wenn er sich gemüht hatte, Augenbinde und Fesseln abzureißen, waren Männer gekommen. Sie nahmen die Augenbinde ab, einer starrte in seine Augen, zog sie mit groben Fingern weit auf und legte ihm die Augenbinde dann wieder um. Seine linke Hand tat höllisch weh. An jenem ersten Tag – falls es nur ein Tag gewesen war – hatten sie seinem Wein etwas Widerwärtiges beigefügt, das seinen Schmerz und seine Sinne gedämpft hatte.
Sie hatten ihn zu Lord Omnichrom gebracht und Kip den mit der Droge versetzten Wein vorenthalten, damit er klar war, aber die Augenbinde hatten sie ihm niemals abgenommen. Sie hatten stundenlang in einem Zelt mit vielen Stimmen gesessen, während Kip Qualen litt, und dann waren sie gegangen. Anscheinend war der Lord zu beschäftigt, um mit ihm zu sprechen.
Nach einer Weile hörte Kip seine Wachen streiten. Ein kluger Mann hätte einige Möglichkeiten ersonnen, um ihre Abgelenktheit auszunutzen. Kip blieb ruhig und fragte sich, wann er seine nächste Dosis bekommen würde. Seine Hand pulsierte.
Sie überreichten ihn jemand anderem – sie überreichten ihn buchstäblich mit einer Schlinge um den Hals.
»Wirst du ihm den Mohnwein nicht geben?«, fragte einer seiner Wächter.
»Warum guten Mohn an schlechtes Schwabbelfleisch verschwenden?«, fragte der fluchende Wachmann zurück. »Ich trinke selbst gern Mohnwein.«
»Oh, dieses Zeug schmeckt abscheulich«, sagte der Erste. Dem konnte Kip nur zustimmen.
»Ich trinke ihn nicht wegen des Geschmacks«, erklärte der fluchende Wächter und lachte. Auch dem konnte Kip zustimmen. »Lass uns gehen. Ich habe weiter hinten ein paar Frauen gesehen. Mit deinem Charme und meinem Mohnwein …« Er lachte abermals.
Kip wurde in einen Wagen gezogen. Er stolperte die Stufen hinauf und erwürgte sich um ein Haar an der Schlinge, fand aber schon bald einen Sitzplatz. Die Tür wurde hinter ihm geschlossen.
Jemand löste seine Schlinge, zog sie herunter, nahm ihm die Kapuze ab und entfernte seine Augenbinde. »Kip?«, fragte eine Frau.
Kip blinzelte. Obwohl das Licht in dem violetten Raum fahl war, trieb es ihm nach zwei Tagen in totaler Dunkelheit dennoch das Wasser in die Augen. Aber durch den Schleier seiner Tränen erkannte er Karris Weißeiche.
»Karris?«, fragte er. Blöde Frage. Natürlich ist sie es, du schaust sie doch an, du Idiot.
»Kip, was machst du hier?«
»Ich bin hier, um Euch zu retten«, sagte er. Dann lachte er.
»Kip, wie viel Mohnwein haben sie dir gegeben?«
Es waren Stunden vergangen, seit sie ihm das letzte Mal Wein gegeben hatten, aber er lachte einfach noch lauter.
Karris führte Kip zu einer Bank im Wagen. Er schlief sofort ein. Sie starrte ihn an. Ein harter, boshafter Teil von ihr wollte ihn hassen.
Mein Sohn wäre jetzt in Kips Alter. Hölle, Kip könnte mein Sohn sein. Er hat blaue Augen, und meine Mutter war Parianerin.
Was, du denkst, braune Haut und krauses Haar überspringen eine Generation? Wie Zwillinge?
Karris rieb sich das Gesicht. Es war eine müßige Fantasie, und sie wusste es. Der Sohn, den sie im Stich gelassen hatte, war Kips Halbbruder, aber jede Ähnlichkeit, die sie teilten, würde ihren
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