Schwarzes Prisma
Feststaat, recht gut aus. Im Gegensatz zu anderen einfältigen Menschen, die Gavin gekannt hatte, zeigte sich Bas’ Andersartigkeit nicht in seinen Gesichtszügen.
»Es tut mir leid, dass ich außer der Reihe komme, Lord Prisma. Ich habe eine Frage, und ich möchte meine Befreiung nicht unterbrechen, indem ich sie stelle.«
Dass er die Befreiung eines anderen unterbrach, um die Frage zu stellen, kam ihm natürlich nicht in den Sinn.
»Bitte, frage«, sagte Gavin.
»Ich habe Evi Grass über die Leuchtwassermauer sprechen hören. Evi ist eine Grün/Gelb-Bichromatin. Sie kommt aus dem Blutwald, aber ich finde überhaupt nicht, dass sie beängstigend ist. Meine Mutter hat mir früher immer gesagt, dass jeder Mensch mit rotem Haar einen anderen geradeso gut in Brand stecken könnte, aber Evi ist nicht so.«
Gavin kannte Evi gut. Nicht von klassischer Intelligenz, hatte sie doch eine unglaubliche Intuition, vertraute aber nur selten darauf. Zumindest hatte sie es vor Jahren nicht getan.
»Evi hat mich einmal gerettet vor einem angreifenden …«
»Was hat sie gesagt, Bas?«, fragte Gavin.
»Sie hat gar nichts gesagt, sie hat mich nur gerettet. Ich schätze, sie hätte schreien können. Ich konnte es nicht mit Bestimmtheit sagen …«
»Was hat Evi über die Leuchtwassermauer gesagt?«
»Es gefällt mir nicht, wenn Ihr mich unterbrecht, Lord Prisma. Es macht mich nervös.«
Gavin kämpfte seine Ungeduld nieder. Wenn er Bas weiter bedrängte, würde er der Sprache überhaupt nicht mehr mächtig sein.
Bas sah, dass Gavin ihn nicht bedrängen würde, dann dachte er einen Moment lang nach. Gavin konnte beobachten, wie er den geistigen Pfad wiederfand. »Evi sagte, die Leuchtwassermauer sei perfekt gewandelt. Sie sagte, sie erinnere sich nicht daran, dass Ihr ein Superchromat seid. Ich kann die Farbunterschiede selbst natürlich nicht sehen, aber ich denke nicht, dass sie lügen würde, und Gavin Guile war kein Superchromat. Sein Bruder Dazen war einer. Und Ihr seid größer als Gavin. Er trug Stiefel, damit er größer wirkte, aber Dazen war schon an seinem siebzehnten Geburtstag größer als er. Ich erinnere mich an diesen Tag. Es war sonnig. Meine Großmutter sagte, Orholam habe stets auf die Guiles hinabgelächelt. Ich trug meinen blauen Mantel …«
Gavin hörte nicht zu. Er hatte das Gefühl, als verlöre er den Boden unter den Füßen. Er hatte gewusst, dass dieser Augenblick kommen würde. Er hatte sechzehn Jahre lang damit gerechnet. Er war in seine ersten Versammlungen als Gavin in der Erwartung gegangen, dass irgendjemand mit dem Finger auf ihn deuten und schreien würde: »Betrüger! Hochstapler!« Andere hatten es herausgefunden, aber nie auf eine Weise, mit der er nicht fertig werden konnte. Er konnte Bas nicht diskreditieren. Der Mann war immun gegen politische Strömungen, und jeder wusste es. Und wenn man ihn fragte, würde Bas auf hundert Unterschiede zwischen Gavin und Dazen hinweisen. Bis er zum Ende kam, würde Gavins Maske zerstört sein.
Und doch war er allein gekommen. In dieser Nacht, ausgerechnet in dieser Nacht.
»Also, meine Frage war … meine Frage war, warum lügt Ihr, Dazen? Warum tut Ihr so, als wärt Ihr Gavin? Dazen ist schlecht. Er tötet Menschen. Er hat die Weißeiches getötet. Sie alle. Es heißt, er sei in ihrem Herrenhaus von Zimmer zu Zimmer gegangen, habe sogar die Diener getötet und das ganze Gebäude niedergebrannt, um seine Verbrechen zu verbergen. Die Kinder waren im Keller gefangen. Sie haben ihre kleinen Leichen auf einem Haufen gefunden. Sie hielten einander in den Armen. Ich bin dort hingegangen. Ich habe sie gesehen.« Bas hörte auf zu sprechen, anscheinend ganz versunken in dieses alte Bild. Mit seinem perfekten Gedächtnis musste es in der Tat lebhaft sein. »Ich habe diesen kleinen, verkohlten Leibern gesagt, dass ich Dazen Guile töten würde«, erklärte Bas.
Gavin verspürte eine alte Furcht, wie das Brennen der Peitsche seines alten Meisters. Bas war ein Grün/Blau/Ultraviolett-Polychromat. Jeder Wandler wurde im Laufe der Zeit von seinen Farben verändert. Einzig die Wildheit des Grünen würde den ehemals zwanghaft auf Ordnung bedachten Bas dazu bringen, seinen Platz in der Reihe zu überspringen. Aber die Ordentlichkeit des Blauen machte ihn verrückt und trieb ihn zu erfahren, warum, trieb ihn dazu zu sehen, wie Dinge zusammenpassten. »Bas, ich werde Euch etwas verraten, das ich nur einer einzigen anderen Person auf der Welt verraten habe.
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