Schwarzes Prisma
auf. Er sah Gavin in die Augen, dann wandte er hastig den Blick ab.
»Du hast etwas zu sagen«, fuhr Gavin fort. »Dies ist der richtige Zeitpunkt.« Einige Wandler verspürten das Bedürfnis, Sünden oder Geheimnisse zu beichten. Andere brachten Bitten vor. Wieder andere wollten lediglich einer Frustration Ausdruck verleihen, einer Angst, einem Zweifel. Abhängig von der Zahl der Wandler, die vor dem Morgengrauen befreit werden wollten, nahm Gavin sich jedes Jahr so viel Zeit für jeden Wandler, wie er konnte.
»Ich habe Euch enttäuscht, Lord Prisma«, sagte Aheyyad. »Ich habe meine Familie enttäuscht. Sie haben immer gesagt, ich sei der Sohn, der es zu Größe bringen könnte. Stattdessen bin ich eine Verschwendung. Ein Süchtiger. Ich bin der Begabte, der mit Orholams Gabe nicht fertig werden konnte.« Bittere Tränen rollten ihm über die Wangen. Er konnte Gavin noch immer nicht in die Augen sehen.
»Schau mich an«, forderte Gavin ihn auf. Er umfasste das Gesicht des jungen Mannes mit beiden Händen. »Du hast dich mir bei dem größten Werk angeschlossen, das ich je vollbracht habe. Du hast getan, was ich, das Prisma, nicht tun konnte. Jeder Mann, der einen Sonnenuntergang gesehen hat, weiß, dass Orholam Schönheit schätzt. Du hast diese Mauer so schön und so schrecklich gemacht wie Orholam selbst. Was du getan hast, wird noch tausend Jahre stehen.«
»Aber wir haben verloren!«
»Wir haben verloren«, räumte Gavin ein. »Mein Versagen, nicht deins. Königreiche kommen und gehen, aber die Mauer wird Tausende beschützen, die noch nicht geboren sind. Und sie wird Hunderttausende weitere inspirieren. Ich hätte das nicht tun können. Nur du konntest es. Du, Aheyyad, hast Schönheit geschaffen. Orholam hat dir eine Gabe geschenkt, und du hast der Welt ein Geschenk gemacht. Das klingt für mich nicht nach einem Versager. Deine Familie wird stolz auf dich sein. Ich bin stolz auf dich, Aheyyad. Ich werde dich niemals vergessen. Du hast mich inspiriert.«
Ein schnelles Grinsen huschte über die Züge des jungen Mannes. »Es ist ein ziemlich großartiges Ding, nicht wahr?«
»Nicht schlecht für deinen ersten Versuch«, erwiderte Gavin.
Aheyyad lachte, und sein ganzes Verhalten änderte sich. Er war in der Tat ein Licht. Ein Geschenk an die Welt, schön und so brennend vor Leben.
»Bist du bereit, Sohn?«, fragte Gavin.
»Gavin Guile«, sagte der junge Mann. »Mein Lord Prisma. Ihr, Herr, seid ein großer Mann und ein großes Prisma. Ich danke Euch. Ich bin bereit.«
»Aheyyad Leuchtwasser, Orholam hat dir ein Geschenk gemacht«, begann Gavin. Den Nachnamen hatte er in diesem Moment ersonnen. In Paria bekamen nur große Männer und Frauen zwei Namen, und manchmal ihre Kinder. Die plötzlichen Tränen, die in Aheyyads Augen aufstiegen, und der tiefe Atemzug, den er nahm, während seine Brust vor Stolz anschwoll, verrieten Gavin, dass er die perfekten Worte gefunden hatte. »Und du hast das Geschenk, das er dir machte, wohl verwaltet. Es wird Zeit, dass du deine Last niederlegst, Aheyyad Leuchtwasser. Du hast das volle Maß gegeben. Dein Dienst wird nicht vergessen werden, aber dein Scheitern ist hiermit ausgelöscht, vergessen, niemals gewesen. Gut gemacht, wahrer und getreuer Diener. Du hast den Pakt erfüllt.«
»Sie sagen, wir schließen einen Pakt! Wir leisten einen Schwur! Und mit diesem Schwur binden sie uns, begraben sie uns«, sagte Lord Omnichrom.
Liv schob sich vorsichtig durch das Gedränge nach vorn. Sie hätte schwören können, dass sie gesehen hatte, wie Kip dort hingeführt wurde, eine schwarze Brille am Kopf festgebunden. Aber alle anderen schenkten dem Ungeheuer auf dem Felsbrocken verzückte Aufmerksamkeit, also durfte sie sich nicht zu schnell bewegen. Stattdessen tat sie so, als lausche sie ebenfalls, und bewegte sich langsam.
»Wie dies hier«, fuhr Lord Omnichrom fort. Er deutete auf den abgerundeten Stein, auf dem er stand. »Dies ist alles, was von dem übrig geblieben ist, das einst eine große Zivilisation war. Ihr habt diese Reliquien überall in diesem Land verstreut gesehen. Statuen von großen Männern, zerbrochen von den Zwergen, die ihnen folgten.« Liv spitzte die Ohren. Rekton hatte eine zerbrochene Statue gehabt, draußen in einem Orangenhain. Niemand hatte jemals etwas darüber erzählt, woher sie kam. Sie dachte, das habe daran gelegen, dass niemand es wusste.
»Ihr glaubt, diese Statuen seien ein Rätsel?«, fragte Lord Omnichrom. »Sie sind kein Rätsel. Ihr
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