Schwarzes Prisma
Sattel – verkehrt herum. Sie zog die Muskete, zielte und versuchte, mit den Knien die Bewegungen des Pferdes abzufangen. Sie zielte auf den Spiegelmann an der Spitze vierzig Schritte hinter ihr und drückte ab.
Sie hatte perfekt gezielt, hatte alles genau im richtigen Moment getan, aber der Schuss löste sich nicht. Sie spannte den Hahn noch einmal und überprüfte das Schloss. Kein Feuerstein! Er war herausgefallen, wahrscheinlich während ihres beeindruckenden Reitkunststückchens. Mist!
Karris warf die Muskete weg, nahm die Hände nach hinten und blickte über die Schulter, um sich davon zu überzeugen, dass sie auf ebenem Grund landen würde. Dann sprang sie aus dem Sattel. Das Abspringen und Wiederaufsteigen aus dem Rückwärtsritt heraus war tatsächlich viel schwieriger als das erste Kunststückchen, aber sie bekam es perfekt hin, landete mit beiden Füßen auf dem Boden und konnte sich mit beiden Beinen gleichzeitig in dem Augenblick abstoßen, wo die Bewegung des Pferdes sie wieder hochriss. Nur dass in der Endphase ihrer Bewegung eine Musketenkugel ihrem Pferd den halben Kopf wegriss und es zu Boden stürzte. Wenn sie noch immer die Zügel in Händen gehalten hätte, wäre sie ebenfalls gestürzt. Stattdessen wurde sie zu einer menschlichen Kanonenkugel. Die Wucht ihres Sprungs und der plötzliche Sturz des Pferdes hatten ihr einen gehörigen Drall versetzt.
Zeit nur für einen einzigen Gedanken: Roll dich ab, wenn du landest.
Aber als sie landete, war für überhaupt nichts Zeit. Was immer sie traf, es hatte viele Schichten und war barmherzig weich – was es nicht daran hinderte, ihren Kopf und ihre Glieder in unterschiedliche Richtungen zu reißen. Als sie endlich auf dem Boden aufschlug, konnte sie sich lange Sekunden nicht bewegen.
Jemand fluchte. Sie sah Füße. Sie lag auf einem Mann, und er mühte sich, unter ihr wegzukommen. Sie musste einem halben Dutzend Soldaten in den Rücken geflogen sein – und sie hatte sie alle mit zu Boden gerissen. Ein Mann hatte sich das Bein in einem üblen Winkel verdreht. Ein anderer wandte sich zu ihr um. Er fluchte, und aus seiner Nase spritzte Blut.
Was immer er sagte, wurde von einer gewaltigen Explosion verschluckt. Vielleicht sechzig Schritte entfernt. Für einen Moment schien alles auf dem Schlachtfeld zu erstarren, dann geschahen die Dinge zu schnell, als dass man sie alle gleichzeitig hätte wahrnehmen können.
Karris sprang auf die Füße – und brach beinahe zusammen. Sie war so benommen, dass es sie all ihre Konzentration kostete, stehen zu bleiben. Sie untersuchte sich schnell. An Armen und Beinen hatte sie brennende Schürfwunden, ihr Kleid war in einer jämmerlichen Verfassung, aber sie hatte keine ernsthaften Verletzungen davongetragen. Sie berührte ihre Augen. Die Kappen waren natürlich unversehrt. Und befleckt mit Blut, so dass es noch schwerer war hindurchzuschauen. Einfach perfekt.
Jetzt, da sie mitten in der Schlacht war, verengte sich die Welt. Da waren Bilder wie kleine Gemälde, aber nicht ganz. Karris sah einen Wandler auf dem Tor der Mutter – Izem Blau? Was tat er hier? Er stand da, die Haut vollkommen blau, beide Arme ausgestreckt, und schoss in schneller Folge blaue Dolche ab – ein absolut umwerfendes Schauspiel, seine Willenskraft so konzentriert zu halten und aus beiden Händen zu schießen. Er war wie ein Dutzend Musketenschützen – drei Dutzend, trotz des noch durch Nebel gedämpften morgendlichen Sonnenlichts. Wo immer er sich hinwandte, fielen Männer. Er drehte sich zu den Spiegelmännern um, und Karris sah diese blauen Klingen von der Spiegelrüstung in alle Richtungen abprallen und jeden durchbohren, der sich in ihrer Nähe aufhielt. Aber einige der Dolche rissen Stücke der Rüstung ab, und einige andere trafen so steil auf, dass sie die Rüstung durchschlugen.
Ein Körper stand vor Karris, ohne Kopf und mit einem Hals, aus dem im Rhythmus der letzten Herzschläge Blut spritzte.
Das Geräusch von Musketenschüssen und das Tosen des Blutes in ihren Ohren verschmolzen miteinander, ein Puls, Leben und Tod, ineinander verflochten.
Die Spiegelmänner stürmten auf ein Loch in der Mauer zu, das vielleicht sieben Schritte breit war. Dort hatte sich also die Explosion ereignet.
Ein Rotwandler – einer von König Garaduls Freien – war wahnsinnig geworden. Er gackerte und bewarf alle in seiner Nähe mit nicht brennbarem Luxin. Die Männer, die es abbekamen, schrien vor Angst. Einige flehten ihn an
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