Schwarzes Prisma

Gischt, solange die gespiegelte Brustplatte hielt – nur einen Augenblick, dann barst sie –, und noch immer schoss der grüne Speer weiter in die Höhe und hob den Spiegelmann hoch in die Luft. Der andere Mann hatte ebenso wenig Glück. Ihn traf der andere Speer am oberen Rand der Brustplatte, und in einem Aufblitzen grünen Lichts verschwand etwas von dem Luxin. Dann wuchs der Speer, bohrte sich unterm Kinn in den Kopf des Spiegelmanns und drückte ihm den Helm vom zermalmten Kopf.
    Beide wurden mehrere Schritt in die Luft gehoben, bevor die grünen Luxin-Speere brachen, sie zu Boden fallen ließen und sich in nichts auflösten.
    Kip sprang auf und wirkte erheblich weniger tot, als sie befürchtet hatte.
    Karris erreichte ihn einen Moment später. Er bedachte sie mit einem seltsamen Blick, und sie sagte: »Kip, ich bin es. Erkennst du mich? Ich bin es, Karris.« Trotz dieser erstaunlichen Zurschaustellung von Macht war Kip ein neuer Wandler, und die geistigen und gefühlsmäßigen Auswirkungen der Farben waren immer am größten, wenn man noch Anfänger war. Die Wildheit von Grün konnte einen Wandler gefährlich machen.
    Er hob schnell eine Hand, und Karris zuckte zusammen. »Kip, ich bin es, Karris«, wiederholte sie, wobei sie sich nur allzu bewusst war, dass noch immer eine Schlacht im Gang war, obwohl die Musketenschüsse von der Mauerkrone fast ganz aufgehört hatten.
    »Haltet still«, sagte er und starrte ihr Gesicht an. Er hob einen einzelnen Finger und bewegte ihn, als wolle er ihn ihr ins Auge stoßen. Sie konnte die Hitze spüren, die der Finger verströmte. Was? Kip war auch ein Infraroter?
    Es folgte ein Zischen, als er die Augenkappe berührte, und er musste den Schmelzpunkt getroffen haben, denn die Kappe löste sich auf. Dann entfernte er die andere.
    Und einfach so konnte Karris wieder wandeln.
    Oh, Hölle, ja.
    »Was sagt Ihr?«, fragte Kip.
    Wovon redete er? »Danke?«, fragte Karris.
    »Ich sage, wir gehen und holen uns den König«, erklärte Kip mit einem verwegenen Grinsen. Wenn sie unter dem Einfluss ihrer Farbe standen, war gesunder Menschenverstand nicht gerade die Stärke der Grünen.
    Karris ließ ihren Blick schweifen und sah, dass Rask Garadul die Lücke passierte, die seine Leute in die Mauer gesprengt hatten. Die Hälfte seiner Männer war bereits auf der anderen Seite. Es war der perfekte Zeitpunkt für einen Angriff – bis auf den Umstand, dass Karris und Kip sich zusammen mit König Garaduls Armee auf der falschen Seite der Mauer befanden.
    Karris wandelte von den Blutlachen um sie herum ein wenig Rot und spürte die tröstende Welle von rotem Zorn. Sie fühlte sich stark. »Gehen wir und holen wir uns den König«, sagte sie.

84
    Ich bin nicht wichtig genug für dies hier, dachte Liv, als Lord Omnichrom wieder auf den Gipfel des Hügels kam, wo sie gefesselt war. Von ihrem Ausguck aus konnte sie eine vertraute Gestalt erkennen, die von einem Stallburschen einen großen, roten Hengst entgegennahm und dann aufsaß. Kip. Wenn er sich umdrehte, würde er sie sehen müssen.
    Für einen Moment war Liv sich nicht sicher, ob sie wollte, dass er sie sah. Sie hatte keinen Zweifel daran, was er tun würde, wenn er sie bemerkte. Er würde den Hügel hinaufstürmen, und zur Hölle mit den Risiken. Das war Kip. Das war es, wer er war und wer er immer gewesen war. Nicht immer klug, aber immer von wilder Loyalität.
    Sie zog den Kopf ein. Hier gab es für Kip nur Tod. Und tatsächlich, er drehte sich für eine Sekunde um, während er unsicher auf dem großen Pferd saß. Dann trat er dem Pferd in die Flanken und fiel beinahe aus dem Sattel, als das Tier einen Satz nach vorn machte.
    Liv grinste fast bei dem Anblick, aber die hoch aufragende Gestalt von Lord Omnichrom wischte jeden Gedanken an Erheiterung beiseite. Als er näher kam, bemerkte sie, dass er nicht so groß war, wie er es aus einiger Entfernung zu sein schien. Seine weißen Roben und das weiße Cape, das von großen blauen Hörnern herabhing, die sich von seinen Schultern erhoben, ließen ihn größer erscheinen als einen Sterblichen, aber er war nicht einmal so groß wie Gavin Guile. Doch er glühte. Es war, als seien seine Adern mit gelbem Luxin gefüllt statt mit Blut. Sein Haar war mit gelbem Luxin zu einer dornigen Krone geformt, so dass es blendete, als sei er von der Sonne selbst gekrönt worden, und seine Augen darunter waren ein stetiger Aufruhr von Farben. Und er starrte sie an.
    Ich bin nicht wichtig genug für dies