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Schwarzes Prisma

Schwarzes Prisma

Titel: Schwarzes Prisma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brent Weeks
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hinab. Zu ihren Füßen lag eine Klapperschlange, so lang wie Gavins ausgebreitete Arme. Durch einen Dolch in ihrem Kopf war sie an den Boden genagelt. Karris’ Dolch.
    Während Gavin mit offenem Mund dastand, stellte Karris einen Fuß hinter den Kopf der Schlange und zog den Dolch heraus – mit der Hand, um Orholams willen, nicht mit Wandeln. Manchmal vergaß Gavin, wie zäh Karris war. Sie wischte das Blut an einem schwarzen Taschentuch ab, das die Schwarzgardisten für solche Zwecke bei sich trugen – Schwarz zeigte keine schwer zu erklärenden Blutflecken. Sie zitterte leicht, als sie das Taschentuch wieder einsteckte, aber Gavin wusste, dass es nicht Angst oder Nervosität war. Ein Körper brauchte Zeit, um sich von der Menge Adrenalin zu erholen, die unmittelbar bevorstehender Tod freisetzte.
    Karris machte ihm keine Vorwürfe, dass er sie beinahe umgebracht hätte. Sie griff sich ihre Tasche und ihr Bogenfutteral, band sich ihren Ataghan-Gürtel um die schmale Taille, überzeugte sich davon, dass weder Klinge noch Scheide bei dem Sturz beschädigt worden waren, und warf sich ihre Tasche auf den Rücken. Es war so, als hätte die plötzliche Gewalt sie daran erinnert, was sie war – und was sie nicht waren. Zurück auf dem Boden, zurück in der Wirklichkeit.
    »Entschuldige«, sagte Gavin. »Ich hätte übers Meer fahren sollen.«
    »Wenn wir das getan hätten, wären vielleicht Haie da gewesen.« Sie zuckte die Achseln. »Und jetzt wäre ich nass.« Sie grinste, aber nur mit dem Mund, nicht mit den Augen. Er würde sie jetzt nicht erreichen. Arbeit wartete – und ihre Arbeit war gefährlich, eine Aufgabe, die durchaus zu einem Krieg führen konnte, eine Aufgabe, die von ihr vielleicht verlangte, zu töten oder zu sterben. Sie musste skrupellos alles hinter sich lassen, was sie ablenken könnte.
    »Karris«, sagte er. »Was in diesem Brief steht … das ist nicht wahr. Ich erwarte nicht von dir, dass du mich verstehst oder mir auch nur glaubst, aber ich schwöre, es ist nicht wahr.«
    Sie sah ihn an, hart, undurchdringlich. Ihre Iris waren jadegrün, aber jetzt strahlten die roten Einsprengsel wie kleine Diamanten. Auf die eine oder andere Weise, sei es mit magischen oder weltlichen Mitteln, Luxin oder Tränen, wusste Gavin, dass diese Augen bald rot sein würden. »Lass uns die Kinder retten«, sagte sie.
    Karris lief los, und er folgte ihr. Sie eilten einen von Eukalyptusbäumen bestandenen Hügel hinunter. Karris rannte auf das magere Kind zu und überließ es Gavin, den Jungen zu retten, der vor dem Rotwandler stand.
    Aber es spielte keine Rolle. Keiner von ihnen würde es rechtzeitig schaffen.

16
    Es war zu weit, um das Boot zu erreichen, selbst für Sanson. Eine kühle Erkenntnis stellte sich bei Kip ein: Er würde sterben. Seine eigene Reaktion überraschte ihn. Keine Panik. Keine Furcht. Nur stiller Zorn. Dreißig Spiegelmänner, die Elitetruppe des Königs, in voller Rüstung gegen ein Kind. Ein ausgebildeter Rotwandler gegen ein Kind, das vor wenigen Stunden zum ersten Mal gewandelt hatte.
    »Wenn ich es dir sage, rennst du los«, wandte Kip sich an Sanson.
    Aus dem Augenwinkel sah er Hunderte von Schritten links von sich etwas über den Bäumen blitzen, aber als er genauer hinschaute, war nichts mehr dort. Er bemerkte, dass die Spiegelmänner einander anblickten, als hätten sie denselben Blitz gesehen wie er.
    »Jetzt, Sanson. Renn.« Kip wandte den Blick nicht von dem Wandler ab.
    Sanson rannte.
    Die Spiegelmänner zögerten, bis der Rotwandler ihnen ein schnelles Zeichen gab, mit militärischer Effizienz. Ein Spiegelmann von jeder Seite der Linie löste sich von der Truppe und ritt um Kip herum, die Fersen tief in die Flanken der Pferde gedrückt. Der Rotwandler selbst kam allein auf ihn zugeritten.
    Alles, was Kip bisher mit Magie getan hatte, war instinktiv geschehen. Jetzt musste er etwas mit Absicht tun. Licht floss über ihn hinweg. Überall war Grün. Die beiden Spiegelmänner, die um ihn herumritten, behielten ihn im Auge, aber sie verfolgten Sanson. Wieder wogte die Wildnis in Kip auf, und er spürte, wie die Haut unter seinen Fingernägeln abermals aufriss, als sich Luxin in seine Hände ergoss. Ein Speer formte sich in seiner Hand. Er warf ihn mit aller Macht in Richtung des Spiegelmannes, der Sanson näher war, aber der Wurf war jämmerlich. Der Speer flog vielleicht fünfzehn Schritte, nicht einmal die Hälfte der Entfernung, die er gebraucht hätte.
    Der Rotwandler lachte.

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