Schwarzfeuer: Roman (German Edition)
aber es war nicht allzu weit davon entfernt, und die meisten Männer waren nicht erfreut darüber.
Surag war anders. Für ihn war es ein Quell des Stolzes, keine Beleidigung, dass ich die Kriegskunst erlernen wollte. Er war … Tradition war sehr wichtig für ihn, und ein Sigrir , der sich den alten Sitten unterwarf, war seiner Meinung nach ein Gewinn für die Ehre und Wildheit unseres Clans. Er war stolz darauf, mich zu unterrichten.
Er war derjenige, der uns fand, als Oralia und ich Eisfeste verließen.« Asharre schloss die Augen. Das war vor mehr als fünfzehn Jahren gewesen, aber die Erinnerung schmerzte sie nach wie vor. »Als wir verschwanden, hat er uns aufgespürt. Niemand sonst hat das getan. Wir waren nicht sehr beliebt in unserem Clan. Den ganzen Winter über hatte es Gerüchte über die Heimsuchungen meiner Schwester gegeben. Die meisten … die meisten wären zufrieden damit gewesen, uns ziehen zu lassen, und froh darum, ihre komischen Käuze loszuwerden. Nicht Surag.«
»Was ist passiert?«, flüsterte Evenna. Ihre nackten Schultern waren so weiß, dass sie in dem dünnen grauen Licht schimmerten; ihr Gesicht war fast ebenso bleich.
»Er hat versucht, uns zurückzuhalten. Surag Einauge war, wie ich bereits sagte, ein Mann, dem Tradition wichtig war. Dass wir nach Süden wollten, um uns den Gesegneten anzuschließen, war ein Verrat am Glauben des Clans. Er wollte uns nicht ziehen lassen. Ich habe gegen ihn gekämpft. Surag war viel erfahrener und immer noch stark … Aber er war alt und auf einem Auge blind, und die Kälte tat ihm nicht gut.«
Asharre hatte noch nie in ihrem Leben größere Angst gehabt als an jenem Wintermorgen. Das Gesicht ihres Lehrers war das eines Fremden geworden, und er hatte eine blanke Klinge in der Hand gehalten. Entsetzen und Verzweiflung hatten ihr Wildheit verliehen.
»Ich wollte ihn nicht töten. Aber wann immer ich zauderte, traf er mich abermals, und schließlich war mir klar, dass ich keine Wahl hatte. Also: Damals habe ich die meisten dieser Narben empfangen. An diesem Morgen hat er mir eine letzte Lektion als Sigrir erteilt.«
Asharre beendete ihre Waschung – das Wasser war kalt geworden – und trocknete sich mit einem Handtuch ab. Evenna folgte ihrem Beispiel ein wenig langsamer. Sie wirkte nachdenklich.
Während Asharre den Riemen ihres Caractan wieder über ihren graugrünen Umhang schnallte, berührte Evenna sie am Unterarm.
»Es tut mir leid, dass Ihr diese Narben tragt«, sagte die junge Gesegnete.
»Das muss es nicht. Eitelkeit ist bedeutungslos. Narben zeigen, was man getan hat.«
»Ja, das ist vermutlich wahr«, erwiderte Evenna unsicher. Sie sammelte sich hinter einem Lächeln. »Ich bin dankbar, eine so Ehrfurcht gebietende Wächterin zu haben. Das sind wir alle.«
»Es sollte gar nicht nötig sein, dass Ihr mich braucht. Ihr zieht nur aus, um Euer Annovair abzuleisten. Der Hohe Solaros hätte Euch keiner Gefahr ausgesetzt.« Oder mich, fügte sie im Stillen hinzu. Thierras d’Amalthier wusste, wann seine Werkzeuge zu brüchig für eine Aufgabe waren.
Sie trafen sich mit den anderen zum Abendessen. Es war ein kleines Mahl, nur für die Familie des Kaufmanns und seine Gäste, aber es war üppig. Asharre saß zwischen Heradion und Bassinos ältester Tochter, Melora, einem reizlosen Mädchen, das selten den Blick von seinem Teller hob. Nachdem ihre stockenden Versuche, Asharre in ein Gespräch zu verwickeln, auf bloßes Brummen gestoßen waren, versank Melora in ein furchtsames Schweigen, das andauerte, bis Falcien, der links neben ihr saß, sie mit Klatsch und Tratsch über die Höflinge in Cailan ablenkte. Asharre beachtete die beiden kaum; die Blamagen der Wichtigtuer interessierten sie nicht. Stattdessen richtete sie ihre Aufmerksamkeit auf das Essen.
Davon gab es reichlich, aufgetragen auf Geschirr, das mit hellen Linien aus Gold und Kupfer durchzogen war. Die Trinkgläser wiesen das gleiche Muster auf: Achtstrahlige Sonnenzeichen, Celestias heiliges Zeichen, auf die gleiche merkwürdige Weise dargestellt wie diejenigen auf den Kapellenfenstern.
Asharre war nicht die Einzige, der das auffiel. »Ich wusste gar nicht, dass Ihr so fromm wart«, neckte Evenna den Kaufmann, während sie ihr Glas hochhielt. Sie trank kalten, im Kerzenschein funkelnden Weißbuschtee, gerade so wie Falcien. »Wann habt Ihr Euer Haus zu einer Kapelle umgebaut?«
Bassinos zuckte lächelnd die Achseln. Er war ein Mann in mittleren Jahren, breitschultrig und mit
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