Schwarzfeuer: Roman (German Edition)
weder die Gesegneten noch Heradion fragten sie nach ihrem Schwert.
Sie war es zufrieden, die anderen grübeln zu lassen. Der Ritt beruhigte ihren Geist und schenkte ihr einen Frieden, den sie seit Oralias Tod nicht mehr verspürt hatte. Erst als die Himmelsnadel zu einem funkelnden Fleckchen am Horizont schwand, wurde Asharre bewusst, wie sehr Cailan die Stadt ihrer Schwester gewesen war. Es gab kaum eine handspannenbreite Fläche in der Sonnenkuppel, die nicht mit Erinnerungen beladen war. Fern der Stadt konnte sie die Welt endlich mit eigenen Augen sehen.
Sie war schöner, als sie es in Erinnerung gehabt hatte. Asharre war nie ohne eine gewisse Wachsamkeit, wenn nicht gar Furcht auf der Straße unterwegs gewesen. Ihre erste Reise hatte sie aus ihrem Heimatland fortgeführt, als sie ihre Schwester bewacht und mit ihr durch feindliches Territorium ins Unbekannte geritten war. Bei ihrem Aufbruch hatte sie gewusst, dass sie nie wieder zurückkehren würden. Anschließend war sie nur als Oralias Beschützerin gereist, und auch wenn sie nach jenem ersten Jahr selten in echter Gefahr geschwebt waren, hatte sie in ihrer Wachsamkeit niemals nachgelassen.
Jetzt tat sie es, ein wenig, und betrachtete die Welt, die sich vor ihr entfaltete.
Sie ritten vorbei an unbebauten Feldern, die unter einer Schicht aus gelbem Stroh und verschrumpelten, vom Frost geküssten Blättern lagen. Uralte Steinmauern und dunkelgrüne Hecken trennten das Land des einen Bauern von dem des nächsten; knorrige Apfelbäume und gekappte Weiden sprenkelten die Hügel dazwischen. Auf den Bauernhöfen bellten Mastiffs sie an, während kleine, furchtsame Rehe durch die Bäume huschten.
Im Laufe ihrer Reise wurde das Land felsiger, und die Hügel wurden steiler. Dorfmauern verwandelten sich von schlichten Grenzwällen in solide Befestigungen aus aufgetürmter Erde und Pfählen. Dann blieben auch diese zurück, weil die Erde zu steinig wurde, um Bauern ein Auskommen zu bieten. Zwei Wochen nördlich von Cailan war alles, was Asharre an Spuren von menschlicher Besiedlung noch entdecken konnte, dünne, braune Ziegen, die das Unkraut zwischen den Felsen fraßen.
Die letzte Stadt, die man so noch nennen konnte, war Balnamoine. Sie markierte die inoffizielle Grenze Calantyrs; obwohl die Dörfer und Bergbaustädte im Norden den Karten nach zum Reich gehörten, endete in Wahrheit die Herrschaft des Königs in Balnamoine. Das Bergvolk pflegte seine eigenen Sitten und Gebräuche.
Das könnte, überlegte Asharre, der Grund sein, warum der Hohe Solaros zwei seiner Gesegneten ausgeschickt hatte, damit sie in Cardental ihr Annovair ableisteten. Ihre Gegenwart würde eine Verbindung zur Zivilisation darstellen, ein sanfteres Mittel, die Bergdörfer in die Herde zu holen, als eine Kompanie königlicher Soldaten auszusenden, die ein Bündnis erzwingen sollte.
Vielleicht. Die Politik des nördlichen Calantyr ging sie nichts an. Ihre einzige Pflicht bestand darin, die Celestianer sicher nach Cardental zu bringen. Vor ihnen verwandelten sich die Eisenzahnberge von einem nebligen Band am Horizont in eine hoch aufragende Mauer. Die Hänge waren rau und grau wie von der Schlacht vernarbter Stahl, die Gipfel so weiß, dass sie in den Wolken verschwanden.
Als sie zu den Toren von Balnamoine kamen, nahm Evenna sie beiseite. »Ich habe hier einen alten Freund«, erzählte sie ihnen. »Eigentlich einen alten Patienten. Nessore Bassinos. Er ist ein Kaufmann, der mit den Bergdörfern ein wenig Handel treibt. Ich dachte, es könnte hilfreich sein, mit jemandem zu sprechen, der das Land kennt, daher habe ich ihm vor unserem Aufbruch aus Cailan einen Brief geschickt. Wir können jederzeit zum Abendessen hereinschauen.«
»Wie ist sein Koch?«, fragte Falcien.
»Besser als du«, sagte Heradion. »Wenn er uns gekochtes Stiefelleder und gebratenen Schlamm anböte, würde ich darin eine willkommene Abwechslung zu dem sehen, was du uns aufgetischt hast.«
Asharre schüttelte den Kopf, gegen ihren Willen erheitert. »Wo ist sein Haus?«
Evenna zeigte es ihnen. Es war ein großes Gebäude, und Nessore Bassinos hatte an Zierrat nicht gespart. Sowohl die beiden Balustraden neben den großen Türen als auch die Türen selbst zeigten das celestianische Sonnenzeichen und sahen neu aus. Die Erde um das Haus herum war von den Wagen der Bauarbeiter gefurcht und von ihren Stiefeln zertrampelt. Im Sommer würden die Gärten des Hauses den Schaden überdecken, aber im Augenblick waren die Spuren
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