Schwarzlicht (German Edition)
her.
Er fand im Kühlschrank eine Flasche Weißwein, goss sich ein Glas ein und trat auf den Balkon. Kinderstimmen im Hinterhof, in der Kastanie zeterten die Spatzen. Vincent staunte, wie warm es noch war. Im letzten Sommer hatten er und Nina sich vorgenommen, öfters zu grillen. Einmal hatte es sogar geklappt.
Ihm fiel Blümchen ein. Wie karg mussten sie und ihre Tochter hausen, dass es ihnen an Messern und Gabeln gemangelt hatte? Blümchens ruppiger Abschied – so kannte er den Engel der Punks.
Dass sie schon damals anschaffen gegangen war, verstörte ihn. Warum hatte er nichts davon mitbekommen? Genau genommen war er wie die gesamte Clique ihr Zuhälter gewesen, denn auch er hatte davon profitiert, dass es ein Dach überm Kopf gegeben hatte und ausreichend Lebensmittel, zumindest die meiste Zeit.
Sein Blick fiel auf die Schuhe, die er zum Trocknen nach draußen gestellt hatte. Der gestrige Regen hatte ihnen nicht gutgetan. Wasser stand darin, er kippte es in einen Blumentopf. Das Leder fühlte sich hart an, vermutlich nicht mehr zu retten.
Osterkamps Angebot ging Vincent nicht aus dem Kopf: das Vierfache als Grundgehalt.
Der Fernseher, das dritte Programm – pünktlich zur Aktuellen Stunde schaltete er ein. Der Beitrag über Dollingers Tod stammte nicht von Saskia, obwohl man sie zur Pressekonferenz geschickt hatte.
Der Inhalt entsprach der offiziellen Verlautbarung. Keine Andeutung eines Zweifels, die Reifenspuren des zweiten Autos blieben unerwähnt. Bericht: Rüdiger Kiefer – vielleicht der Redaktionsleiter, den Saskia nicht leiden konnte.
Das Handy. Saskia. Vincent spürte, wie sein Herz schlug.
«Hab gerade an dich gedacht», sagte er.
«Warum bin dann immer ich es, die bei dir anruft, und nie umgekehrt?»
«War bis eben im Stress, entschuldige bitte.»
«Wenn du Entspannung suchst: in einer Stunde im Notorious – wie wär’s?»
«Hab heute keine Lust auf Kneipe.»
«Schade. Ab morgen ist Oskar wieder bei mir, dann passt es nicht mehr so gut.»
«Warum kommst du nicht einfach zu mir?»
Er nannte die Adresse.
Vincent holte die restlichen Sachen aus seinem Auto, dann ging er ins Internet. Vielleicht hatten Martina Simoniaks Leute seine Information inzwischen lanciert. Wichtige Meldungen brachten die Zeitungen oft vorab in ihrer Online-Ausgabe.
Vincent wurde nicht fündig.
Zwanzig Uhr, Tagesschau . Die Nachrichtensendung machte mit Mike Dollinger auf. Ein spektakulärer Selbstmord – zugleich die Auflösung des Rätsels um den Tod des nordrhein-westfälischen Regierungschefs.
Wieder nur die offizielle Lesart: ein Raubmord wegen zweiundfünfzigtausend Euro.
Nichts über die acht Millionen. Kein Wort zu schwarzen Kassen, Schweizer Konten und zur unrühmlichen Rolle des Kanzleramts.
Ich bin zu ungeduldig, sagte sich Vincent. Bis jetzt war die Zeit zu knapp. Erst morgen würde der Skandal in aller Munde sein. Er fragte sich, welche Zeitung für den größten Sensationseffekt sorgen konnte. Süddeutsche ? FAZ ? Oder doch der Blitz ? Die Medienprofis aus Simoniaks Stab würden das schon einzufädeln wissen, dessen war sich Vincent sicher.
Es klingelte.
Saskia.
Ihr Anblick versetzte Vincent in nervöse Freude. Zugleich spürte er, wie fremd sie ihm war. Vielleicht lag es an diesem Ort. Es war Ninas und sein Zuhause, seit vielen Jahren schon.
Saskia hielt inne.
«Komm rein», sagte er und führte sie ins Wohnzimmer. Holte den Weißwein, setzte sich zu ihr aufs Sofa. Sie stießen an. Hoffentlich schmeckte ihr die Plörre aus dem Supermarkt.
Er musste an Castorp und Markowitz denken, die an ihrem letzten gemeinsamen Abend einen edlen Chardonnay getrunken hatten. Sollte er Osterkamps Angebot annehmen, würde er sich jeden Tag solche Spitzenweine leisten können.
«Wohnt ihr zusammen?», fragte Saskia.
«Sie ist ausgezogen.»
Saskia nickte und schwieg.
Es ärgerte ihn, dass Nina zwischen ihnen stand. Er hätte die Reporterin doch in der Jazzkneipe treffen sollen.
«Dann hol ich mal die Briefe», sagte er.
«Welche Briefe?»
«Die Ausstellung – du hast doch heute mit Max Dilling gesprochen?»
«Nein, leider. Wegen der Pressekonferenz musste ich das verschieben, aber noch ist Zeit.»
Also war sie allein seinetwegen gekommen, nicht wegen ihres geplanten Films zur Geschichte der Polizei. Vincent nahm einen Schluck, die Anspannung blieb. Das Schwimmbadmädchen meinte es offenbar ernst.
«Aber du hast mich jetzt neugierig gemacht», sagte sie. «Haben die Briefe mit deinem
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