Schwarzlicht (German Edition)
Demonstrantin.
«Bist du ein Bulle?», fragte das Mädel.
«Ist das sehr schlimm für dich?»
Sie lächelte und übergab ihm ihre letzte Blume.
Vincent lief auf die Festung zu. Es roch noch immer nach Tränengas. Die Vermummten waren teils eingekesselt, teils abgedrängt. Die übrigen Demonstranten hatten sich verzogen oder unter die Schaulustigen gemischt.
Vincent nahm das Handy ans Ohr. «Bist du noch dran?»
«Mach schnell, Thilo ist auf dem Flur. Ich glaube, er sucht mich.»
«Öffne das Fenster.» Er überquerte den Jürgensplatz und blickte hoch. «Kannst du mich sehen?»
Sie winkte ihm hektisch zu.
«Wirf weit genug, sonst landet das Notizbuch im Gebüsch.»
Er breitete die Arme aus.
Nora war eine schlechte Werferin. Das schwarze Büchlein rauschte mitten in die Dornen.
Oben wurde das Fenster geschlossen. Nora hatte aufgelegt.
Es dauerte Minuten, bis Vincent das Notizbuch mit der Foto-CD im dichten Gestrüpp entdeckt und geborgen hatte.
Als er sich aufrichtete und seine Kleidung abklopfte, fiel ihm ein Junge auf, der ihn beobachtete. Er war vielleicht zehn oder elf, trug eine Brille und einen gelben Ranzen mit Batman-Symbol.
«Machst’n da?», wollte der Kleine wissen.
«Hast du ein Handy?», fragte Vincent zurück.
«Klar.»
«Darf ich es benutzen? Ein Anruf, nur kurz. Ich geb dir zehn Euro dafür.»
«Cool.»
Es war ein einfaches Gerät, vermutlich das ausrangierte Modell der Mutter oder des Vaters. Mit seinem Smartphone ging Vincent ins Internet, suchte die Nummer der Landesgeschäftsstelle der SPD und gab sie in das Handy des Jungen ein.
Eine Männerstimme: «Sozialdemokratische Partei Nordrhein-Westfalen, was kann ich für sie tun?»
«Ich hätte gern Martina Simoniak.»
«Die geben wir nicht her.»
Der Witzbold stellte durch. Eine Sekretärin meldete sich. Vincent wiederholte sein Anliegen.
«Frau Simoniak ist gerade in einem Meeting. Können Sie es in zehn Minuten noch einmal probieren?»
«Richten Sie ihr aus, dass ich ihr Material übergeben möchte, das die Wahl entscheiden wird. Ich bin in zwanzig Minuten in der Kunstsammlung im Ständehaus.»
«Wie bitte?»
«Sagen Sie ihr, es hat mit Walter Castorp zu tun. Ich warte auf sie im ersten Stock, im Raum mit der Installation TV Garden von Nam June Paik. In zwanzig Minuten. Haben Sie mich verstanden?»
«Wer spricht da überhaupt?»
«Ein Freund von der Polizei.»
Vincent drückte die rote Taste.
«Du kannst gern noch einmal telefonieren», schlug der Junge mit der Brille vor. «Acht Euro, ich geb dir Treuerabatt!»
Vincent gab ihm die Blume der Demonstrantin. «Hier, für deine Mutter. Du hast doch eine Mutter, oder?»
Der Junge nickte und lief davon, den Blumenstängel in der kleinen Faust.
69
Dreißig uralte Fernseher lagen zwischen Palmen und anderen tropischen Pflanzen auf dem Boden, vielleicht war auch irgendein Ficus darunter. Über die Röhrenbildschirme flackerte ein einfaches Video: tanzende Menschen vor schwarzem Hintergrund, hastig durcheinander geschnitten. Vincent fiel auf, dass die Geräte nicht synchron geschaltet waren, die Tänzer zappelten zeitversetzt.
Nina hatte ihn einmal in dieses Museum geschleppt, das Kunst der letzten Jahrzehnte zeigte. Vincent verstand nichts von alldem, aber einiges fand er witzig. Diese Installation hatte er sich gemerkt.
Ein Pärchen betrat den etwas abgedunkelten Raum und schlenderte an das Geländer der Plattform, von der aus man in den Fernsehgarten hinabsah. Vincent tat, als vertiefe er sich in die Broschüre, die er an der Kasse erhalten hatte. Die Frau und der Mann hielten Händchen, beide um die fünfzig, vielleicht Touristen. Sie steckten die Köpfe zusammen, tuschelten und lachten leise. Vincent erinnerte sich daran, wie es war, mit einer Partnerin zu reisen. Für Nina gehörten Museumsbesuche stets dazu.
Das Pärchen schlich hinaus. Vincent schaute auf seine Uhr. Die Oppositionschefin war bereits eine Viertelstunde über der Zeit.
Aus dem Internet wusste Vincent, dass Martina Simoniak an diesem Abend einen Wahlkampfauftritt in Köln absolvieren würde, zweifellos ein wichtiger Termin. Da sie bis jetzt nicht eingetroffen war, würde sie wahrscheinlich gar nicht mehr aufkreuzen.
Er beschloss, ihr noch fünf Minuten zu geben.
Nach einer Weile näherten sich Stimmen. Wieder kam ein Paar herein, dieses Mal mit zügigem Schritt. Martina Simoniak und ein Anzugträger – sie blickten sich um.
Vincent trat aus dem Schatten. «Sagen Sie Ihrem Begleiter, er soll
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