Schwarzlicht (German Edition)
vor der Festung an. Angeblich seien darunter auch gewaltfreie Demonstranten und sogar Kinder. Angeblich dürfe man nicht einmal zum Verrichten seiner Notdurft den Kessel verlassen. Es gebe erste Reaktionen aus der Politik, Martina Simoniak im O-Ton:
Die Parallelen zum Tod des Studenten Amadeo Hunziker sind deutlich und lassen für mich nur einen Schluss zu: Der Fisch stinkt vor allem vom Kopf her. Die Abwahl der unfähigen und überforderten Landesregierung ist die demokratische Antwort auf die Missstände bei der Polizei .
Die Ackerstraße. Zum Glück ließ sich die Nachbarin nicht blicken. Vincent schloss die Wohnungstür auf.
Blümchens Liste enthielt lauter Alltagsgegenstände: Besteck, Gläser, Korkenzieher. Feuerzeug und einen Kerzenhalter. Zwei bunte Sofakissen, eine Wolldecke. Ein paar Klamotten für Mutter und Tochter.
Er fand alles wie auf dem Zettel verzeichnet. Die Wohnung war erstaunlich hübsch eingerichtet. Blümchen hatte sich ein Nest gebaut. Aber warum auch nicht? Niemand war für immer ein Punk.
Auf dem Rückweg dachte er an sein Treffen mit der Oppositionsführerin und an ihren Vergleich mit Watergate. Er fühlte sich, als schriebe er mit an der Geschichte der Republik. Als stünden ihm alle Optionen offen. Endlich gehorchte ihm das Steuerrad, er verhalf der Wahrheit zum Durchbruch. Sein Eingreifen würde den Wahlausgang entscheiden.
Blümchen wartete wieder an der Konkordiastraße. Die Tochter stand bei ihr, dünn und erstaunlich lang für ihr Alter. Abschätziger Blick – Vincent hätte es interessiert, was ihre Mutter über ihn erzählt hatte.
«Hallo, Felicitas.» Er reichte ihr die Sofakissen. «Als ich dich das letzte Mal gesehen habe, warst du vier und hast mich Benzi genannt, weil Vincent zu kompliziert für dich war.»
«Lass dich nicht anquatschen.» Blümchen stellte sich vor ihre Tochter.
Felicitas klemmte sich die Kissen unter den Arm, nahm auch die Decke aus dem Kofferraum und machte sich auf den Weg. Sie verschwand in der Seitenstraße.
Die restlichen Sachen waren auf zwei große Einkaufskörbe verteilt. «Ich helfe dir tragen», sagte Vincent.
«Nichts da, ich trau dir nicht. Und das Rundendrehen mit dem Auto kannst du dir sparen.» Sie blickte sich um. «Ich hoffe nur, dass dir keiner gefolgt ist!»
«Braucht deine Tochter keine Schulsachen?»
«Ach was, Feli kommt mir nicht aus dem Haus. Borsig kriegt’s fertig und besticht jemanden von der Behörde, um sich an sie heranzumachen.»
«Ich denke, er hat es auf dich abgesehen.»
«Das Schwein weiß genau, wie es mir am meisten wehtun kann.»
«Willst du ihn nicht anzeigen?»
«Was soll das bringen? Mensch, was bist du naiv! Immer noch der Junge aus dem behüteten Uedesheim. Hast es damals auch nicht lange bei uns ausgehalten.»
«Immer wenn ich in die Altstadt komme, muss ich an die Zeit denken. Wie süß du warst.»
«Lass das, Vinnie.»
«Keiner konnte uns Schnorrer leiden, aber dir haben sie immer viel mehr gegeben als jedem anderen.»
«Glaubst du etwa noch immer, ich hätte uns durch Schnorren die Miete reingeholt? Ralle hat mich fast jeden Tag zur Charlottenstraße gebracht.» Blümchen lachte. «Er hat mein Kapital erkannt. Mein erster Zuhälter.»
«Du hast …»
«Die Beine für euch breit gemacht. Das hat mir schon mein Alter beigebracht, sobald ich zwölf war und Titten bekam. Nur dass der mich auch noch geschlagen hat.» Blümchen hob die Körbe auf. «Wage es nicht, mir hinterherzuschnüffeln! Du bleibst hier stehen, schließt die Augen und zählst bis hundert, verstanden, Benzi ?»
71
In der gesamten Gneisenaustraße war keine Parklücke frei. Vincent kreuzte durch sein Viertel, bis er aufgab und das Auto in zweiter Reihe dicht an einen Straßenbaum rangierte, wo es nicht allzu sehr störte. Bis morgen früh um neun die Leute vom Ordnungsamt aufkreuzten, würde er längst wieder im Präsidium sein, überlegte Vincent. Dann fiel ihm ein, dass er dort nichts mehr verloren hatte. Überstunden abfeiern, so die Ansage.
Er nahm den Trolley aus dem Kofferraum. Im Treppenhaus musste er wieder an Nina denken. Der Streit vom Montagmorgen lag eine schiere Ewigkeit zurück, eine Menge war seitdem geschehen.
Vincent schloss die Tür auf. Im Flur ein Wust an Post: zwei Ausgaben der Tageszeitung, ein Wochenblatt, Wurfzettel, Reklame, Rechnungen. Urlaubspost eines befreundeten Pärchens – die Karte zeigte den Strand von Juist und rief eine Erinnerung an ausgedehnte Wanderungen mit Nina wach, viele Jahre
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