- Schwarzspeicher - Du kannst dich nicht verstecken
den beiden hin. Tim stöhnte gequält auf. »Die sind ja analog. Total random!«
»Das ist nicht random, was immer das heißt, das bin ich. Als Jugendlicher.«
Aber Tim war schon wieder in Paddy vertieft.
»Papi, du hattest ja mal Haare«, bemerkte Lisa. »Das Bild muss ich haben. Halt das mal.« Sie zückte ihr eigenes Pad und fotografierte eins der Albumfotos ab. Sie zoomte in die Aufnahme hinein, um Details zu betrachten. »Was ist das denn für ein hässliches Ding hinter dir?«
Stephans hielt das Album ins Licht, um zu sehen, was sie meinte. »Das ist mein erster PC. Ein 386er.«
»PC? Ist das eine Art Pad?«
»So ungefähr, nur schwerer. Und jetzt ist erstmal Schluss mit den Fragen. Ich muss heute Abend noch andere Familienmitglieder zufriedenstellen. Ihr könnt euch so lange weiter die Fotos ansehen. Aber schön vorsichtig.«
Die beiden Kinder blickten sich an und verdrehten die Augen. Tim sagte: »Mann, Dad, wir verraten schon nichts.«
»Was verraten?«
Tim sah ihn an, als habe er gefragt, wer ihr Vater sei. »Den lokalen Speicher natürlich. Da sind Bilder drauf gespeichert, und im Kindergarten singen wir immer«, er sang ein paar Takte: »›Lokaler Speicher ist schwarzer Speicher, mit dem Pod geht alles leichter …‹«
Stephans stand mit offenem Mund da. Er wusste, dass seine Kinder Fische im digitalen Wasser des modernen Alltags waren, aber dass sie Gefahr liefen, keine Analogluft mehr schnappen zu können, war ihm neu, und es beunruhigte ihn. Er würde mit ihnen über den Unterschied zwischen Datenspeichern und Druckwerken sprechen müssen, und zwar bald. Aber eins nach dem anderen.
Eleonore Stephans sah nicht von ihrer Patience auf, als er ihr Zimmer betrat. »Wenn du hier bist, um mir eine Predigt zu halten, kannst du dir die Mühe sparen«, sagte sie kühl.
Schweigend setzte er sich ihr gegenüber. Im Zimmer fehlte etwas. Er brauchte einen Moment, um zu erkennen, dass keine frischen Blumen auf dem Tisch standen. Nur die Tulpen der vorigen Woche ließen in stummer Sympathie mit ihrer Besitzerin die Köpfe hängen.
Die Patience war so gut wie gewonnen, erkannte Stephans. Seine Mutter schob die abgegriffenen Karten über den Tisch und baute einen Katzenschwanz nach dem anderen ab. Ihre Züge waren präzise und zeugten von Übersicht. Sie war nicht vergesslich. Sie war bloß stur.
Aber nicht stur genug. Als die Patience gewonnen und der Talon erschöpft war, hielt sie es nicht mehr aus. »Schweigen, Hanno? Ist das deine jüngste Verhörtechnik, um eine Verstockte zum Reden zu bringen?«
»Ich freue mich einfach auf den Moment, an dem ich endlich Feierabend habe. Leider ist da diese Sache, die wir vorher klären müssen.«
»Und die wäre?«
Stephans legte das Siemens Silver auf den Tisch, das mit den großen Tasten. Conny und er hatten es seiner Mutter letztes Jahr zu Weihnachten geschenkt. »Das lag auf der Kommode im Flur.«
»Wo ich es hingelegt habe. Hier ist es im Weg.« Sie räumte das Pad zur Seite, um die Karten neu zu mischen.
Stephans schob es zurück in die Tischmitte und ließ die Hand darauf liegen. »Mutter, wenn du ohne dieses Gerät aus dem Haus gehst, verunsicherst du deine Mitmenschen und machst dich strafbar. Du magst vom Schwarzspeichergesetz halten, was du willst. Daran halten musst du dich trotzdem.«
Sie funkelte ihn an. »Ich verunsichere meine Mitmenschen? Seit fünfzig Jahren kaufe ich meine Blumen in ein und demselben Laden. Ich bezahle immer den gewünschten Preis, auch wenn der sich seit damals verdoppelt und verdreifacht hat. Und heute ruft dieser neue Fatzke von Verkäufer die Polizei! Womit habe ich ihn verunsichert? Dass ich freiwillig seine Wucherpreise bezahle?«
»Kaum ein Geschäft akzeptiert noch Bargeld. Das ist eben so.«
»Das ist ausgemachter Blödsinn. Ich habe immer bar bezahlt, und niemand hat sich je beschwert.«
»Wie oft muss ich dir noch erklären, warum Bargeld in Verruf geraten ist? Es ist nicht nachvollziehbar. Es ist nicht sicher. Die Terrorgefahr gebietet es, dass wir zurückverfolgen können, wer wann was gekauft hat. Ist das so schwer zu begreifen?«
»Hör doch auf«, ereiferte sich seine Mutter. »Glaubst du, ich will jemanden mit einem Strauß Lilien in die Luft sprengen?« Sie gestikulierte so wild, dass sie ein paar Karten vom Tisch fegte. »Wir wissen doch beide, wer dahintersteckt. Westphal hat den Leuten so lange eingeredet, dass hinter jeder Ecke Gefahr lauert, dass sie nicht einmal mehr einer alten Frau von
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