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- Schwarzspeicher - Du kannst dich nicht verstecken

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Titel: - Schwarzspeicher - Du kannst dich nicht verstecken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias Radloff
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Der Bereich hatte nur diesen einen Zugang. Im Falle eines Anschlags konnten sich die Anwesenden tagelang hier drin verschanzen, ohne die Kontrolle über den Ministeriumsapparat aus der Hand zu geben. Die Leichenkammer war die Kommandozentrale des IKM, Herz und Hirn der nationalen Sicherheit.
    Littek ging einen kurzen Gang entlang. Wände und Boden waren ebenso blank wie seine Schuhe. Obwohl die Lufttemperatur auf exakte 20 Grad geregelt war, richteten sich die Härchen in seinem Nacken auf. Der Spitzname Leichenkammer hatte sich schnell durchgesetzt. Littek bevorzugte allerdings eine andere Bezeichnung: Für ihn war es der Weg ins Allerheiligste.
    Zwei verschwommene Spiegelbilder flankierten ihn, als er Sekretariat, Tresor- und Generatorraum passierte und die entfernte Tür erreichte. Das Namensschild war so unauffällig wie die Person, deren Namen es verkündete. Ein Kameraauge fixierte ihn. Littek hob grüßend die Hand, und wenig später leuchtete das grüne Licht an der Türklinke auf. Er straffte sich und trat ein.
    Mit seinen harten Kanten und rechten Winkeln sah Westphals Büro aus wie die Wirklichkeit gewordene Studie eines Bauhaus-Professors. Die Regale waren leer bis auf eine Handvoll echter Bücher und ein antikes Telefon mit Schnur. Eine Sitzgruppe stand dort, wo die Fensterfront gewesen wäre, wenn sich der Hochsicherheitsbereich über der Erde befunden hätte. Die Sessel schienen erst vor wenigen Minuten aus der Plastikfolie ausgepackt worden zu sein. Hinter dem Schreibtisch hing ein Bild in klassischem 2D, das die Detailvergrößerung des Schalllochs einer Violine zeigte.
    »Setzen Sie sich.«
    Littek ließ sich im linken Besucherstuhl nieder. Westphal saß kerzengerade hinter seinem Schreibtisch und schrieb mit langsamen, bedächtigen Bewegungen. Seine Tastatur bestand aus Licht und wurde auf die Tischplatte projiziert. Diese war leer bis auf ein Glas Wasser, den externen Projektor und ein Pad. Westphal benutzte ein gewöhnliches Siemens Integral, das Standardpad für Bundesangestellte. Littek hatte sich dagegen vor Kurzem einen Prototyp des Butterfly gesichert, das erst in ein paar Monaten in den Handel kommen würde.
    Er betrachtete Westphals Hände. Die Narben waren rosig und mit weißen Flecken durchsetzt. Damals hatte Westphal wie von Sinnen im heißen Schutt des Funkturms gewühlt und sich Verbrennungen zweiten Grades zugezogen. Er ließ sich nichts anmerken, aber die kleinen, kontrollierten Bewegungen, mit denen seine Finger über die Lichttastatur huschten, ließen ahnen, dass hinter jeder falschen Regung der Schmerz lauerte.
    Littek blickte zur Seite, als Westphal die Hände vom Tisch nahm. »Was wollen Sie?«
    »Es geht um die Passagiere von Flug 799, Herr Minister. Wir haben einen davon als Gefährder identifiziert.« Littek wusste, dass er besser ohne Umschweife zum Punkt kommen sollte.
    »Laut dem letzten Bericht wurden alle Passagiere unterhalb der Fünf-Prozent-Schwelle eingeordnet.«
    »Die neue Einschätzung ist erst wenige Minuten alt. Die Chinesen haben sich viel Zeit gelassen. Erst vor einer Stunde kamen die Daten aus Schanghai herein. Als wir sie überprüften, entdeckten wir einen Verstoß gegen das Schwarzspeichergesetz, der das Gefährdungspotenzial eines Passagiers auf 86 Prozent hochschnellen ließ. Ich ließ alles stehen und liegen, um Sie davon zu unterrichten.«
    »Und wie gedenken Sie, gegen den Gefährder vorzugehen?«
    Littek wusste, wie die Antwort zu lauten hatte. »Mit aller gebotenen Härte.«

    Das Bild zeigt den Altstädter Ring im Herzen von Spandau. Meph ist zu Fuß unterwegs. Im Schritttempo zieht das Rathaus vorbei, und am rechten Bildrand, jenseits der Havel, ragt die schwarz-rot-goldene Lichtinstallation auf dem ehemaligen Alexanderplatz in den Himmel. Der Feierabendverkehr schleppt sich auf sechs Spuren dahin, und die Dämmerung ist weit genug fortgeschritten, dass alle Autos mit Licht fahren. Nur der weiße Lieferwagen, der auf Mephs Höhe am Bordstein hält, hat die Scheinwerfer abgeblendet. Die Tür öffnet sich, und zwei Männer mit verspiegelten Helmvisieren springen heraus. Einer von ihnen richtet einen Taser auf den Zuschauer. Zwei Metallnadeln an dünnen Drähten schießen an Meph vorbei, und eine Schrecksekunde später beginnt die Welt, im Takt seines Fluchtversuchs zu wackeln.
    Er kommt nicht weit. Das Bild zittert wie unter Krämpfen, dann kippt es um 90 Grad nach rechts, bis der Asphalt ganz nah ist. Ein Ruck. Die Kamera zeigt jetzt auf Mephs

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