- Schwarzspeicher - Du kannst dich nicht verstecken
seiner Seite.
Der Schattenmensch legte den Riegel vor und drehte sich um. Meph bemerkte, dass er ihn anstarrte, und senkte den Blick.
»Ist dein Pad aus?«
Meph nickte.
Cassandro sah ihn wortlos an. Halb rechnete Meph damit, dass er das Pad würde sehen wollen, aber Cassandro grunzte lediglich etwas zu laut und setzte sich in Bewegung. Seine Schulter streifte Meph und hätte ihn umgestoßen, wenn Meph sich nicht an der Tunnelwand abgestützt hätte.
Cassandro legte ein ordentliches Tempo vor, sodass sich Meph beeilen musste, um mit ihm Schritt zu halten. Er schwitzte unter seiner Jacke. Die Luft war stickig und verbraucht, und hin und wieder tropfte ihm Wasser auf Helm und Nacken. Wo eine Leuchtstoffröhre funktionierte, enthüllte sie Risse in den Tunnelwänden, bröckelnde Decken, Geröllhaufen. Meph drängte die Vorstellung zurück, wie die Gänge über ihnen zusammenbrachen und sie lebendig begruben. Dennoch verzichtete er darauf, seinen Kinnriemen zu lockern.
Sie erreichten eine weitere Metalltür und traten hindurch. Cassandro versperrte die Tür von innen, indem er eine schwere Metallkiste davorschob. Meph nutzte die Gelegenheit und sah sich in Cassandros Unterschlupf um.
Sie befanden sich in einer ehemaligen U-Bahn-Leitstelle. Eine Seite bestand aus einer Fensterfront, die auf einen verlassenen Bahnsteig hinausging. Das Glas war fast blind und verbarg das Meiste hinter einer dicken Schmutzschicht. Die übrigen Wände bestanden aus nacktem Beton. Cassandro hatte sie mit alten Werbeplakaten geschmückt, die für Mobilfunkverträge, eSport-Ligen und Pods von Everydayta warben. Überall stapelten sich Platinen, Laufwerke und Kabel. Ein großer Tisch in der Raummitte war von antiken PCs und Röhrenmonitoren regelrecht überwuchert. Anscheinend hatte sich bei der Räumung des Bahnhofs Alexanderplatz niemand die Mühe gemacht, die elektronischen Systeme abzubauen. In einer Ecke gab es ein Bett aus zerschlissenen Mänteln, und auf Regalen und alten Gerätekonsolen standen unzählige Konservendosen dicht an dicht. Drähte baumelten von der Decke. Meph fühlte sich wie im Labor eines verrückten Wissenschaftlers, der daran arbeitet, all den Schrott zu einem Kampfroboter zu verbauen und die Menschheit zu unterjochen.
Cassandro setzte sich auf einen Drehstuhl, aus dem der Schaumstoff quoll. Seine Augenbrauen bildeten ein unfreundliches V. In Ermangelung einer zweiten Sitzgelegenheit blieb Meph stehen und versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, wie unwohl er sich fühlte.
»Nett hast du es hier«, bemerkte er. »Nur der Zimmerservice lässt zu wünschen übrig.«
Cassandro verzog keine Miene. »Damit eines von Anfang an klar ist: Ich will dich hier nicht haben. Du wirst so schnell wie möglich verschwinden und nie mehr wiederkommen. Du kannst von Glück reden, dass ich dich überhaupt reingelassen habe!« Er bleckte die Zähne. Sie waren blutverschmiert.
Meph hob abwehrend die Hände. »Schon klar, du bist der Boss. Du hast von mir nichts zu befürchten. Lass mich dir wenigstens das Zeug geben, das du haben wolltest.«
Er schob Cassandro seinen Rucksack hin. Der wühlte darin herum, und seine Miene hellte sich auf. Er riss eine Packung Paracetamol auf, schluckte ein paar Tabletten und verzog das Gesicht, als eine davon seinen Zahn berührte.
»Alles in Ordnung?«
»Skorbut. Hier unten gibt es nicht viel Vitamin C.« Cassandro zog ein Netz Orangen aus dem Rucksack und schälte eine davon mit einem Schweizer Taschenmesser. Mephs Magen knurrte vernehmlich. Cassandro runzelte die Stirn und schien erst nach einer Weile zu begreifen, wo das Geräusch herkam und was es bedeutete.
»Falls du Hunger hast«, sagte er mit einer ausladenden Geste zu den Konservendosen ringsum.
Meph sah sich suchend um. »Und deine Mikrowelle?«
»Nur kalt macht Dosenroulette richtig Spaß.«
»Dosenroulette?« Dann begriff Meph, warum sämtlichen Konserven die Etiketten fehlten, und sein Hunger ließ nach.
Er ließ sich nun doch auf einer Kiste nieder. Cassandro hatte die Zungenspitze zwischen die Lippen geklemmt und war ganz darin vertieft, seine Orange zu schälen. Im Neonlicht konnte Meph das Wort lesen, das auf Cassandros Knöcheln eintätowiert war. Es lautete »root«.
Nach einigen Minuten brach Meph das Schweigen. »Willst du den Anonymisierer wiederhaben?«
»Du brauchst ihn, um aus dem Bahnhof rauszukommen.«
»Dann hast du noch ein A-Modul?«
»Nur das eine. Als ich noch an die Oberfläche gegangen bin, habe ich es
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