Schwarztee - Tatort-Salzkammergut Krimi
nicht daran denken, wie viele der in der Sonne bratenden Proleten
ihr seit Stunden im Körper angesammeltes Bier in anderer chemischer
Zusammensetzung in der Neuen Donau von sich gaben. Nichtsdestotrotz spülte das
Wasser den Schweiß von Berenikes Körper. Der Event-Stammtisch lag ihr im Magen.
Ein Wiedersehen nach so langer Zeit – man würde sie nach ihren Erfolgen
beurteilen. Ein platschendes Geräusch. Sie drehte sich um. Niemand in der Nähe.
Wahrscheinlich ein Fisch. Oder ein Biber.
Inspektor Kains Warnung fiel ihr ein, als sie aus dem Wasser
kam und eine Bewegung aus dem Augenwinkel wahrnahm. Hinten bei der Hecke, wo
sie ihre Sachen abgelegt hatte. So schnell sie konnte, hechtete sie näher. Ihr
Körper hinterließ eine tropfende Wasserspur. Geld, Ausweis – alles da. Ein
prüfender Blick: Die Büsche, dünn, wie sie aussahen, waren als Versteck nicht
geeignet. Trotzdem hatte sie das Gefühl, beobachtet zu werden. »Oooom«, summte
sie vor sich hin, um sich mit dem Weltall in Einklang zu bringen und so zu
beruhigen. Sie ließ sich auf dem Badetuch nieder. Bei dieser Hitze würde der
nasse Bikini schnell trocknen. Berenike schloss die Augen. Die Sonne kribbelte
auf der kühlen Haut. Wohlig atmete sie durch. Hoffentlich hatte Inspektor Kain
nicht recht. Er übertrieb mit seinem Verbot, sie dürfe den Bezirk Liezen nicht
verlassen, bis die Morde geklärt seien. Eine Frechheit war das. Darum konnte
sie sich nicht kümmern. Er lasse sie auf freiem Fuß, weil er persönlich nicht
an ihre Schuld glaube. Tatverdächtig sei sie trotzdem, offiziell. Der
Dorfpolizist wollte sich wichtigmachen. Sie einschüchtern. Sein komisches
Lächeln dazu. Seine Kollegen würden das alles anders sehen, hatte er
überraschend ruppig ergänzt. Die Kollegen vom Mordkommando. Die sollten jeden
Moment eintreffen.
Berenike drehte sich auf den Bauch. In der Wärme fiel ihr
Jonas ein. Sie war sich sicher gewesen, seinen schwarzen Haarschopf am
Bahnsteig in Attnang-Puchheim gesehen zu haben. Dabei hatte der Typ geschworen,
nicht hinter ihr herzuschnüffeln. Man konnte niemandem trauen. Obwohl sie durch
den ganzen Zug gestreift war, hatte sie Jonas nirgends entdecken können.
Jetzt wurde die Sonne zu heiß. Sie zog sich um, ein Mann mit
Bierbauch und dickem Goldketterl wandte den Blick nicht von ihr ab. Sie drehte
ihm den Rücken zu. Das Gefühl, beobachtet zu werden, ließ auch auf dem Weg zur
U-Bahn-Station nicht nach. Sie drehte sich mehrmals um. Doch da waren nur
fremde Leute, unbekannte Gesichter.
20
Kamillentee
Fred Stein wartete schon auf Berenike, als sie
das kleine Café in der Tuchlauben betrat. Nur wenige Gäste saßen in dem
altmodischen Kaffeehaus mit den Kunstledersitzen und der freundlichen
Bedienung. Freds Brille wirkte zu groß in seinem schmalen Gesicht, eine Zeitung
lag neben einer leeren Tasse. Bei jedem ihrer Zusammentreffen wirkte er mehr
geschrumpft. Das Grau seiner Haare, seiner Haut, die Falten in seinem Gesicht.
»Schön, dich zu sehen, Tochter!« Er sprang auf, nahm ihre
Hände. »Was trinkst du, Berenike?«
Seine Stimme war warm, leise. Er faltete die Zeitung
zusammen, schob die Tasse zur Seite, nahm die Brille ab. Kleine, sorgfältige
Bewegungen. Die Zigaretten verschwanden in der Brusttasche seines Hemds. Er
rauchte üblicherweise Kette. Jedes Mal, wenn er verkühlt war, sah Berenike
Lungenentzündung, Krebs und Tod. Ihm aber schien es nichts anzuhaben. Er war am
Leben, war am Leben trotz allem, auch nach Jahrzehnten.
»Was darf ich bringen?« Die Kellnerin, schwarz-weiß gewandet,
hatte sich angeschlichen.
»Welche Teesorten haben Sie?«, erkundigte sich Berenike.
»Russischen Tee, Pfefferminz, Kamille und Früchtetee.«
Nicht sehr aufregend. »Kamillentee, bitte.«
Wie Fred ihr so gegenübersaß, erinnerte sich Berenike daran,
wie er im Feinkostladen ihrer Großeltern gearbeitet hatte. Bis dahin hockte er
in seinem Zimmer in Roses großer Wohnung, alle hatten sie ihr eigenes Zimmer
dort. Er schrieb mit Füllfeder vergilbte Hefte mit blauem Deckel voll, sie
stapelten sich und niemand durfte den Inhalt lesen. Fred Stein hatte Journalist
werden wollen. Vom Scheitern sprach man nicht. Er hatte keine Ausbildung, war
zu beschäftigt mit seinem Leben, seinem Überleben. Mit seinem unterwürfigen,
wie geprügelten Auftreten gab ihm kein Chefredakteur eine Chance. Er
veröffentlichte selten eine seiner viel zu langen Abhandlungen. Eines Tages
hatten die
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