Schwarztee - Tatort-Salzkammergut Krimi
trotz ihres Vorhabens, die
Ermittlungen der Polizei zu überlassen, Richtung Literaturhaus, neben dem die
Bibliothek sich eingemietet hatte. Es würde schon nicht noch was passieren.
Sie werde ihr alles über Sieghard Lahn erzählen, hatte Frau
Dr. Wittgenstein am Telefon angekündigt. ›Persönlich.‹
Müde näherte sich Berenike der angegebenen Adresse. Die
Nächte in ihrem Kinderzimmer waren wirklich nicht das Alpha und Omega für
gesunden Schlaf. Kein Wunder, dass sie in dieser Wohnung nur schwer gesundet
war. Das Bett zeigte in völlig falsche Himmelsrichtungen, Wasseradern hatte
sowieso keiner je überprüft.
Drückende Hitze waberte in den grauen Gassen, dazu die
Abgase, kaum jemand verzichtete aufs Autofahren. Der Schweiß klebte schon
wieder überall, obwohl sie in der Früh geduscht hatte. Sie überquerte die
Lerchenfelderstraße, die Neustiftgasse. Ein Lokal namens Kreuzberg warb für
seine Theaterbar. Berlin, eine Theaterreise, das wäre schön. In der Burggasse
musste sie auf die Gehsteigkante zurückspringen, weil ein Bus herangebraust
kam, der eben noch an der Haltestelle gestanden war. Sie passierte eine
Silberschmiede, die Edelbestecke und Tafelgeräte anpries.
Endlich war sie da. Berenike läutete an der Sprechanlage des
etwas desolat wirkenden Altbaus. Sie schnupperte an ihrem T-Shirt. Naja. Bei
über 35 Grad Außentemperatur würde es hoffentlich niemand so genau nehmen.
Gegenüber erkannte sie das Geschäftsschild des Perda-Verlags. Diese
Angewohnheit musste sie von ihrem Vater übernommen haben, der immer alles
registrierte, was nach Schreiben und Publizieren aussah.
Endlich hörte Berenike ein Summen. Sie drückte das Tor mit
beiden Händen auf, suchte nach einem Hinweisschild. Fehlanzeige. Die ehemals
weiße Mauer entlang der Wendeltreppe war mit Graffiti beschmiert. Im ersten
Stock wurde sie hinter einer Glastür von einer sehr jungen, dünnen Frau mit
rasiertem Schädel erwartet. Das halbe Kind war in ein weißes, wallendes Gewand
gehüllt. Ihre Augen blieben Berenike seltsam fern, trotz der Begrüßung. Sie
führte Berenike in einen großen hohen Raum. Überall Regale bis zur Decke,
voller Bücher, aber keine Menschen.
»Unsere Bibliothek, sie öffnet in einer Stunde.« Das heilig
wirkende Kind schwebte hinaus und setzte sich an den Empfangstisch, wo ein
weißes Apple-Notebook geöffnet vor sich hinsurrte. Die Kleine versank dahinter,
nur ab und zu war ein helles Tippseln zu hören.
»Frau Roither? Guten Morgen!« Eine stämmige Frau trat
zwischen zwei Regalen hervor, hämmerte die Absätze ihrer Stöckelschuhe in den
Parkettboden. »Ich bin Selma Wittgenstein. Wie der Philosoph, aber nur entfernt
verwandt.« Sie strahlte Berenike an. »Ich habe dieses Institut mithilfe unserer
Mutter-Institution in Neu-Delhi ins Leben gerufen.« Frau Wittgenstein trug
Erdfarben, das Kostüm sah teuer aus. Dazu eine Bluse in warmem Gelb. Ihr
brünettes Haar war gekonnt halblang geschnitten. Sie mochte 40 sein oder auch
50, schwer zu schätzen.
»Es geht um Sieghard Lahn, wie ich höre. Ich habe Ihnen alle
seine Publikationen herausgesucht.« Frau Doktor Wittgenstein warf einige
Schriftwerke auf den Tisch.
»Ja, ja, die meisten kenne ich.«
»Auch die ältesten?«
»Nein, vielleicht nicht. Lassen Sie mich sehen.«
»Setzen Sie sich doch bitte!« Selma Wittgenstein deutete auf
einige Sessel zwischen den Regalwänden. Von allen Seiten leuchteten
verführerisch bunte Buchrücken. Die Esoterik-Welt war bekannt für ihre
wagemutigen Layouts. Im Niedersetzen wurde sich Berenike der Stille bewusst.
Das also war der Ort, von dem aus das Neue Wissen die Welt erobern sollte. Der
altmodische Holzsessel drückte wie in ihrer Schulzeit schmerzhaft in ihren
Rücken. Konnte man sich wirklich nur dann persönlich weiterentwickeln, wenn die
Marter schlimm genug war?
»Ich hätte vor allem gern etwas über Lahns Umfeld gewusst,
seine Netzwerke. Ohne die schafft man es doch heute und hier nicht.«
»Stimmt, wem sagen Sie das. Sieghard Lahn ist Teil einer
Gruppe, die sich Radikalpoeten nennt. Sie hatten einmal Ärger wegen
Wiederbetätigung nach dem NS-Verbotsgesetz. Nichts Schlimmes, jugendliche
Torheit halt. Sieghards Großvater, Georg Lahn, war als Heimatdichter während
des Dritten Reiches sehr erfolgreich. Er war meines Wissens SS-Mann, naja,
jeder kann sich mal irren im Leben. Er wird es später bereut haben. Georg Lahn
kam aus armen bäuerlichen
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