Schwarztee - Tatort-Salzkammergut Krimi
Taschentuch suchte, knisterte etwas in ihrer Hosentasche. Das Foto.
Ein Foto wie damals. Sie starrte es an, bis sich ein anderes
Bild von selbst dahinter materialisierte. Damals. Sie hatte ihre Galerie
Aktfotos aus dem Internet entfernen wollen. Nach Donners Attacke. Doch die
Fotos waren bereits verschwunden. Nur ein einziges Bild war zu sehen gewesen,
in Großaufnahme. Von ihr. Wie sie … – es konnte nur von Donner
stammen – während er …
Bei der Erinnerung wurde ihr erneut schlecht. Das Foto
gestern. Ein Porträt von ihr. Das Gesicht verschwitzt. Und – ihre Todesangst.
Sie war zu sehen, zu spüren. Heute wie damals. Das Ersticken. Wie sehr sie
geglaubt hatte, sterben zu müssen.
Die Tür ging auf. Der Schaffner. Mit dem Fahrplan. Sie
steckte das Bild weg. Ruckend setzte sich der Zug in Bewegung. Ihre Augen
folgten den Gleisen, sie schlängelten sich hierhin, dahin. Eine Frau öffnete
die Abteiltür, deutete fragend auf die leeren Plätze, setzte sich Berenike
gegenüber.
Was für ein Vorfall letzte Nacht. Das finstere Stiegenhaus,
der Strom schien ausgefallen. Sie hatte sich nichts gedacht, so etwas passierte
manchmal in dem alten Gebäude. Die Wohnungstür nur angelehnt. Da war die Angst
zurückgekommen. Ihre Lebens-, ihre Überlebensangst.
Sie schob das Foto tiefer in den Hosensack. In Hütteldorf
stieg eine Jugendgruppe zu, lautes Lachen, Schreien schwappten über sie hinweg.
Kurz darauf herrschte wieder Stille. Eine Stille wie im Stiegenhaus letzte
Nacht. Berenike hatte bereits die Wohnungstür aufdrücken wollen, da hatte sie
eine Männerstimme gehört. Eine Männerstimme aus der Wohnung ihrer Mutter!
Hinter der Tür war es finster gewesen. Durch das Gangfenster schien das Licht
einer Straßenlaterne herein. Sie hatte erkannt, dass die Schlösser aufgebrochen
waren. Weg hier, zurück auf die Straße! Sie hastete hinunter. Stolperte. Suchte
den Untergrund zu ertasten. Trat daneben, fiel, rutschte sitzend einige der
glatten Stufen hinunter. Rappelte sich auf. Hinaus! Sie hetzte über die Straße,
trat in die Arkaden des Theaters in der Josefstadt. Jetzt warf sie einen Blick
nach oben. Die Fenster der Wohnung waren dunkel. Sie suchte nach ihrem Handy,
aber das musste irgendwo liegen geblieben sein. Es hatte so lange gedauert, bis
sie endlich eine Telefonzelle gefunden hatte. Sie wählte die Nummer ihrer
Mutter.
»B-Berry, gut, dass du – geht es dir …?«
»Mama, was …?«
»Warte, ich geb dir S-Selene.«
»Berry? Es ist alles okay. Ein Einbruch. Bist du in Ordnung?
Ja, komm bitte. Die Polizei ist da.«
Später, als die Polizisten weg waren und Selene, Rose und sie
ein wenig aufräumten, ging Berenike in ihr Zimmer. Alles wirkte wie vorher. Das
Bett gemacht, das Regal geordnet. Auf dem Nachtkästchen ein Bild, es lehnte
neben einem alten Kinderfoto in einem Silberrahmen. Sie konnte sich nicht an
das Vorhandensein von mehr als einem Foto erinnern. Was darauf zu sehen war, es
ließ ihr das Blut aus dem Kopf weichen. Ein Bild, von ihr – Donner! Aber
der war tot, Gott sei dank. Alles in ihr gefror zu Eis. Ganz im Gegensatz zu
dem Foto.
Berenike zuckte zusammen. Der Schaffner. »Fahrkarten bitte.«
Sie griff in den Hosensack. »Oh, Entschuldigung.« Die Fotografie. Der Schaffner
hatte die Hand ausgestreckt, zuckte zurück. Sah sie eigenartig an. Berenike
kramte in der Geldbörse. Er zwickte das Ticket, rasch. Der Zug wurde langsamer,
bremste. Er hastete aus dem Abteil. Die andere Frau ihm nach.
Berenike packte ihren
kleinen Imbiss aus. Schenkte sich Tee aus der Thermoskanne ein. Den Magentee
hatte sie extra in einer Kräuterdrogerie erworben, weil ihr schon wieder
ständig schlecht war. Während sie kaute, beobachtete sie die wenigen Fahrgäste,
die in St. Pölten zustiegen. Auf der Höhe von Amstetten schlief sie ein. Sie
träumte von einem Polizisten, der grinsend die Knöpfe ihres Hemdes öffnete,
während sie ihm seine Kappe abnahm.
Vom neuerlichen Bremsen wurde sie wach. Nieselregen benetzte
die Fensterscheiben. Ihr gegenüber saß ein Mann, weit jünger als sie. Draußen
konnte sie nichts erkennen. »Wissen Sie, wo wir sind?«
»Ich glaube, Attnang-Puchheim kommt bald.«
Schläfrig blätterte Berenike durch eine Tageszeitung, die
jemand neben ihrem Sitz vergessen hatte. Steigende Kriminalitätsraten, höhere
Aufklärungsraten. Wie beruhigend. Und ein Statement von Sieghard Lahn, er
dankte für seine Erwählung zum neuen
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