Schwarzwaelder Dorfgeschichten
wohlbekannte kleine Haus, ein bleiches Frauenbild sah aus dem Fenster, es war das Windecker Lisle, das hier wieder einsam wohnte.
Ivo dachte darüber nach, wie auffallend es sei, daß die Kirche es wagte, ein ausdrückliches Gebot der Bibel in ein Verbot umzuwandeln. Nach dem Alten Testamente mußte der Bruder die kinderlose Witwe seines Bruders heirathen, das kanonische Recht aber verbot dieß geradezu, Nazi und Lisle durften sich nie ehelichen. Ivo fuhr sich mit der Hand über die Stirne, als wollte er die letzte theologische Erinnerung aus seinem Kopfe verbannen.
Man näherte sich dem Hofe des Beßtebuuren, die Wege waren gut und sauber. Endlich wurde man des stattlichen Hauses ansichtig, als man fast vor ihm stand. Ivo sah den Nazi, der Heu rechte, mehrere Mägde und Knechte um ihn her; aber Ivo eilte nicht auf ihn zu, sondern setzte das Horn an den Mund und blies die Weise des Liedes:
Da droben, da droben
An der himmlischen Thür,
Und da steht eine arme Seele,
Schaut traurig herfür.
Dann rief er: Nazi! und die Beiden, sich erkennend, lagen einander selig in den Armen.
* * *
Wie nach banger, pfadloser Irre können wir jetzt auf gebahntem Wege dem Ende unserer Erzählung zueilen. Ivo blieb bei Nazi, der ihn wie einen Bruder behandelte. Als einer der reichsten Bauern konnte er in Allem für ihn sorgen. Er reiste für ihn als Brautwerber in die Heimath und holte die Emmerenz, die sich vor Freude gar nicht zu fassen wußte.
Alle Leute im Dorfe und sogar die Eltern söhnten sich mit der Lebenswendung Ivo's aus, denn wenn es einem Menschen gut ergeht, beruhigen sich die Leute gern bei einer Aenderung, die ihnen sonst verdammlich erschiene.
Nazi schenkte dem Ivo die Sägmühle; mit freudiger Lust arbeitet er nun dort unverdrossen im Verein mit seiner Emmerenz. Oft sitzt er Abends unter seinem Nußbaum und bläst auf seinem Waldhorn, daß es fernhin erschallt. Weit umher vor den einzelnen Gehöften stehen in stillen Mondnächten die Burschen und Mädchen und lauschen den fernen Klängen. Emmerenz sagte das einst Ivo und dieser erwiderte: »Guck, an der Musik haben wir ein Gleichniß vom rechten Menschenleben. Ich mach' jetzt die Musik doch eigentlich nur für uns; aber wenn ich weiß, daß die Töne weit hinausfliegen und noch anderer Menschen Herz erfreuen, da ist mir's noch viel lieber, ich bin noch viel fröhlicher und besser. Wenn nur Jeder für sich selber sein Sach' recht macht, so hilft er auch Anderen und macht ihnen Freud'. Ich bin nicht uneigennützig genug gewesen, bloß für andere Leut' Musik zu machen; ich tanz' auch gern selber mit.«
»Ja,« sagte Emmerenz, »du bist doch studiert, und ich versteh' dich doch. Wenn als die Buben beim Mocklesammeln in der Neckarhalde so lustig gesungen und gejodelt haben, da hab' ich als denkt: guck, die singen für sich und mich freut's doch auch und einen Jeden, der die Ohren bei ihm hat, und die Vögel singen auch für sich, und es gefällt den Menschen doch wohl, und wenn ein Jedes in der Kirch' recht für sich allein singt, nachher paßt Alles gut zusammen und ist Alles schön.« Ivo umarmte innig seine Emmerenz.
»Wenn's nur nie Winter werden thät; es ist doch gar einödig da,« sagte Emmerenz.
»Da wohnet ihr eben bei mir,« sprach eine Stimme. Es war die des guten Nazi.
Fußnoten
1 Ivo setzte hier wirklich für die Kirche, statt für den Kaiser.
Zweiter Band.
I.
Florian und Creszenz.
1.
Mädchen am Brunnen.
Am Samstag Abend hörte man im Hause des rothen Schneiderle von Stube zu Stube singen und trällern, Thüren wurden auf- und zugeschlagen, Fenster aufgesperrt, Stühle und Bänke gerückt, man hörte den Kehrbesen walten; aber aus Allem hervor tönte der Gesang einer klangvollen Mädchenstimme, Trepp auf und Trepp ab. Kaum war ein Lied geendigt, begann ein anderes, lustig und traurig, Alles durch einander. Endlich kam die Sängerin zum Vorschein: es war ein stämmiges, aber im schönsten Ebenmaß gebautes Mädchen. Das grauwollene gestrickte Wämschen ließ enganliegend die runden, vollen Formen, die sanften Wölbungen des Busens bestimmt und zart hervortreten, die Schürze war halb zurückgesteckt und bildete einen spitzen Winkel. Mit dem Melkkübel in der Hand ging es in den Stall. Jetzt konnte man eines der Lieder genau vernehmen, es lautete:
Steig i auf de Kirschebaum,
De Kirsche z'wege net,
Haun g'moant i wott mein Schätzle seh'n,
I gsieh 'nes aber et.
's isch no nit lang daß's
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