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Schwarzwaelder Dorfgeschichten

Titel: Schwarzwaelder Dorfgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berthold Auerbach
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dieses sowohl wie seine Beweisführungen hatten so viel Bestimmendes, daß der Nachbar Diethelms, der Schultheiß von Rettinghausen, ihm zuraunte: Die sind schuldig. Diethelm antwortete nicht. Mit eingekniffenen Lippen und weit aufgesperrten Augen betrachtete er die Angeklagten: diese finster blickenden Augen, die nur bisweilen zuckten, diese starren Züge, diese in einander gelegten Hände, diese Gestalten mit ihrem ganzen Leben sind in fremde Gewalt gegeben. Dort hinter den Angeklagten sitzt der Landjäger, das gezückte Schwert in Händen. Wie es so gierig blinkt! Das ist das Schwert der Gerechtigkeit über den Angeklagten schwebend. Immer und immer mußte Diethelm denken, wie es diesen Menschen zu Muthe sei, wie die Blicke der Anwesenden sie treffen müssen wie scharfe Schwerter; er konnte diese Gedanken nicht los werden, bis er endlich die Hände zusammenpreßte, ein Schauer durchrieselte ihn und zum Erstenmal betete er in innerster Seele voll Reue über das Geschehene. Vor seinen dreinstarrenden Augen verschwammen die Menschengestalten, nur das blanke Schwert dort an der Wand blinkte und die Stimme des Staatsanwalts tönte. Da erklärte der Vorsitzende die Verhandlung für diesen Morgen als geschlossen und beraumte eine zweite Sitzung auf Nachmittag.
    Als jetzt Alles sich erhob, rieb Diethelm sich lange die Stirn und wie taumelnd verließ er den Saal und drängte sich dann hinaus, als würde er festgehalten. Erst in freier Luft fand er sich selber wieder, er trat fest auf und schaute zurück nach dem Gerichtssaal, wie ein Angelandeter dem schwankenden Schiffe nachschaut, das er eben verlassen.
    Die Mehrzahl der Geschworenen hatten sich einen gemeinsamen Mittagstisch in einem ihnen genehmen Wirthshause angeordnet und wie von selbst war Diethelm hier der Vorsitzende, zumal da die wenigen »Herren« unter den Geschworenen sich in einen vornehmeren Gasthof begeben hatten. Diethelm fühlte sich ganz wohlgemuth: er war fest überzeugt, daß er heute alles Peinliche seiner Lage überwunden habe und daß nichts mehr über ihn kommen könne.
    Es waren hier die gewichtigsten Bauern eines ganzen Kreises versammelt, die sich zum Theil noch nicht persönlich kannten, sie fanden aber schnell eine Einigung und sogar ein allgemeines Gespräch; denn nichts vereinigt die Menschen so leicht als eine Anhänglichkeit oder ein Widerspruch gegen eine Persönlichkeit. Gegen den Steinbauern, der sich bald nach seiner Erledigung heim gemacht hatte, brannte wie beim Scheibenschießen ein Jeder seine Kugel los. Man erzählte sich, daß der Steinbauer das Gerücht verbreitet habe, er werde Jeden unbedingt für schuldig erklären und darum werde er stets abgelehnt werden und könne daheim ausdreschen. Diethelm fand in dem Schultheiß von Rettinghausen und in einem jungen Manne zierlichen Angesichtes, es war der Gemeindeschreiber von Reindorf, fertige Beihülfe, die mit ihm die Gewissenlosigkeit und Niedrigkeit eines solchen Gebarens brandmarkten und schon jetzt zeigte sich die unverwüstliche Ehrenhaftigkeit des Volkscharakters, die nur der rechten Erweckung bedarf: ein Jeder betheuerte mit aufrichtigen Worten, daß er sich nicht um Vieles von einer so schönen Ehrensache losmachen möchte, und wenn nur die Schwurgerichte besonders zur Winterszeit wären, möchten sie immer dabei sein.
    Das Gespräch verlief sich nach allen Seiten, und Diethelm ärgerte sich, daß seiner Rede bei Eröffnung des Schwurgerichtes gar keine Erwähnung geschah; er war nicht der Mann, der eine glorreich vollbrachte That gern unbeachtet sah. Nach Tische hatte er indeß die Genugthuung, daß sein Schwiegersohn, der als Assessor bei dem Gerichtshof war, zu ihm kam, und sich zu ihm setzte; bald drängte sich eine große Menschenmenge aus allen Gegenden zu ihm, theils alte Bekannte, theils neue, die ihn wegen seiner ergreifenden Rede kennen lernen wollten. Diethelm klagte indeß seinem Schwiegersohn, daß ihn die Sache doch mehr angreife als er erwartet habe, besonders das lange ruhige Sitzen werde ihm peinlich; der Assessor getröstete ihn aus eigener Erfahrung, daß er sich schon daran gewöhnen werde, und Diethelm lächelte, als er hörte, daß er als Ersatzgeschworener nicht mit zu urtheilen habe.
    »So bin ich nur Vorspann für die Gefahr,« sagte Diethelm und dieses Wort setzte sich fest und seit jener Zeit nennen die Geschworenen die Ersatzgeschworenen »den Vorspann.«
    Als man am Nachmittag wieder in den Gerichtssaal kam, war die Weihe des ersten Eindruckes

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