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Schwarzwaelder Dorfgeschichten

Titel: Schwarzwaelder Dorfgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berthold Auerbach
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zwar verschwunden, aber der Ernst des Unternehmens blieb. Diethelm fühlte sich noch besonders beruhigt, da er nicht zu urtheilen hatte; er lehnte sich bequem in seinem Stuhle zurück, er betrachtete sich den Saal, der sich in einem alten Deutschmeisterhause befand, aber aus den übereinanderpurzelnden Genien und halbnackten Kriegern an dem Deckengemälde, sowie aus den Stuckarbeiten an den Wänden konnte man nicht klug werden. So oft ein neuer Zeuge beeidigt wurde; schreckte Diethelm zusammen, dieses plötzliche geräuschvolle Sicherheben der ganzen Versammlung machte immer von Neuem einen gewaltigen Eindruck. Ueber die Zeugen aber war Diethelm meist sehr ungehalten; das war ein unbehülfliches Hinstellen und ein Stottern, als ob sie nicht drei Worte zusammenhängend sprechen könnten. Diethelm fühlte, daß er mit Recht eine bevorzugte Stellung in Anspruch nahm. Hätte der Vorsitzende nicht mit Milde und Klugheit und unverwüstlicher Geduld, sowie besonders durch Erfragen unverfänglicher Gegenstände, die Zeugen zum Sprechen und zur Sicherheit des Sprechens gebracht, man hätte kaum etwas erfahren.
    Dem Benehmen der Angeklagten widmete Diethelm dabei eine besondere Aufmerksamkeit; bald der Eine, bald der Andere vergaß sich und schaute sorglos und keck darein, bis er sich oft plötzlich besann und sich faßte, und während des Zeugenverhörs schärfte sich oft der Hauptangeklagte die Lippen, indem er mit der Zunge dazwischen hin und her fuhr; dann stemmte er die Hand in die Seite, raffte sich zusammen und richtete sich auf.
    Was geht in diesen Menschen vor?
    Mitten durch's Herz fühlte Diethelm einen Stich, als er hörte wie die beiden Angeklagten, die doch Genossen bei der That gewesen, jetzt vor Gericht als die bittersten Feinde einander gegenüber standen und sich wechselseitig anklagten.
    So wären Diethelm und Medard einander gegenüber gestanden. Diethelm zuckte zusammen und fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. Er schaute frei umher und auf seine Mitgeschworenen; er erinnerte sich, wo er saß.
    Drei volle Tage mit doppelten Sitzungen dauerte die erste Verhandlung und bei aller ehrenhaften Anhänglichkeit an das Gerichtsverfahren klagten die Mitgeschworenen doch auch manchmal über das fremde Leben in fremder Stadt. Sie fühlten sich unbehaglich, beständig in Sonntagskleidern und der Handarbeit ledig umher zu gehen; dennoch betheuerte Jeder, daß er nicht davon sein möchte und Diethelm hatte nur gegen die Behauptung Einsprache zu erheben, daß man die Sache zu weitläufig behandle. Der Schultheiß von Rettinghausen, der gleich Anfangs sich für ein Schuldig entschieden hatte, erklärte jetzt, daß dieses genaue Erörtern doch Einem erst die Augen öffne, und jene seltsame Seelenstimmung trat in Vielen zu Tage, wo man bald mit Bestimmtheit ein Schuldig aussprechen möchte, bald zweifelvoll ist und wiederum ein Nichtschuldig sich herausstellen will.
    Der Schultheiß erwarb sich das Lob eines gutherzigen Menschen, da er darlegte, daß man sich nicht, um zeitig zu seinem Mittagessen oder zu seinem Schoppen zu kommen, verleiten lassen dürfe, über das ganze Lebensschicksal eines Menschen rasch den Stab zu brechen.
    Diethelm wurde staunend angesehen, als er sagte, ihm gehe es jetzt, wie ihm der Doctor von G. einmal erzählt habe. Als dieser zum Erstenmal von der Anatomie kam, sah er immer nichts als aufgeschnittene Menschen vor sich, und so gehe es ihm jetzt auch.
    Als endlich am dritten Abend die Verhandlung geschlossen wurde und die Geschwornen sich mit den Fragen zurückzogen, war Diethelm froh, daß er nur Vorspann gewesen war und zurückbleiben durfte. Die Geschwornen kamen bald zurück. Der Schultheiß von Rettinghausen war Obmann, er erklärte die beiden Angeklagten für schuldig.
    Als die Verbrecher abgeführt wurden, machte sich Diethelm rasch davon; aber unversehens war er an den unrechten Ausgang gekommen, und sah plötzlich den Landjäger mit bloßem Schwerte hinter sich. Glücklicherweise klopfte ihm sein Schwiegersohn auf die Schulter und nahm ihn mit durch die Gerichtsstube.

    Am andern Tage bei einer neuen Verhandlung blieb der Name Diethelm in der Urne, und der Steinbauer wurde richtig wiederum abgelehnt.
    Diethelm wußte zwar nicht, was er zu Hause beginnen sollte, aber weil er auf mehrere Tage frei war, kehrte er doch heim. Verwundert sah er auf dem Wege, wie das Leben der Menschen draußen, die das nicht miterlebt haben, seinen geregelten Gang fortgeht; sie Alle dachten nicht an die

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