Schwarzwaelder Dorfgeschichten
Nelken.
4.
Muckele und Wusele.
Das Haus Valentins wurde um ein Glied vermehrt, auf das die Blicke aller gerichtet waren; Valentin brachte nämlich vom Oberndorfer Markt eine schöne Kuhkalbin mit. Ehe das Thier in's Haus gebracht wurde, musterten und schätzten es die Nachbarn und alle Vorübergehenden. Die Mutter, Ivo und Nazi gingen dem Ankömmling bis vor die Thüre entgegen. Hier erhielt Ivo ein hölzernes Pferd, dann übergab Valentin, vergnügt um sich schauend, das Seil an Nazi, herausfordernd betrachtete er die Nachbarn und wiederum das »ausbundige« Thier, das er mit einem Schlage in den Stall entließ. Das Thier war schön und stattlich, mit einem Worte, so was man eine »rechtschaffene, stolze Kuh« nennt.
Als die offene Stelle im Stalle wieder besetzt war, eilte Ivo, sein hölzernes Pferd auf der Brust tragend, mit Nazi in den Schuppen; sie brachten »kurz Futter« für die Fremde, aber das Thier öffnete den Mund nicht und brummte nur so vor sich hin. Ivo strich ihm sanft mit der Hand über die zarten Haare, es wendete den Kopf nach dem Knaben und schaute ihn lange an.
Ivo tummelte dann sein hölzernes Pferd, das that gar nicht fremd, es war überall zu Hause und trug den Kopf mit der Hahnenfeder immer stolz.
Nachts erwachte Ivo plötzlich von seinem Schlafe; er hörte ein Jammern, das ihm durch die Seele schütterte. Die Klagen der Allgäuer Kalbin erschollen immer tiefer und tiefer aus dem Innersten heraus, und es war, als ob sie ihr ganzes Leben damit ausklagen müßte.
Ivo hörte lange zu, wie das Schreien durch die Stille der Nacht so wehvoll und schauerlich klang. So oft das Thier eine Pause machte, horchte er mit angehaltenem Athem; er glaubte, jetzt und jetzt müsse doch das Klagen aufhören, aber es kam immer wieder. Ivo weckte endlich seinen Vater.
»Was gibt's?«
»Die fremd' Kalbin schreit.«
»Laß sie schreien, schlaf, du dummer Bub, die Kalbin hat eben Jammer 1 , und da ist's nicht anders.«
Ivo verdeckte sich die Ohren mit dem Kissen und schlief wieder ein.
Fast drei Tage lang fraß die Kalbin keinen Bissen, endlich aber gewöhnte sie sich an das andere Vieh im Stalle und war still und fraß wie die andern. Zu neuem Jammer gingen ihr aber die Klauen an den Vorderfüßen ab; sie waren nur gewohnt, auf weicher Weide, nicht aber einen so weiten Weg auf harter Straße zu gehen.
Ivo half nun oft dem Nazi der Kalbin die Füße verbinden, seine Demuth und sein Mitleid, das er der Fremden bezeigte, war gar groß; sie erwiderte aber auch, so weit sie vermochte, seine Theilnahme, und Nazi, der sich gar wohl auf die Thiere verstand, sagte: »Der Hirtenbub von der Allgäuerin hat dir ähnlich gesehen, Ivo, das merk' ich wohl.«
So viel Freude nun Ivo an der Allgäuerin gewonnen, ebensoviel Schmerz erlebte er an seinem hölzernen Pferde. Dieses war durch den Lauf der Zeit unsauber geworden. Ganz in aller Stille lief er daher eines Morgens nach der Schwemme, wusch und putzte es tüchtig, aber laut wehklagend kehrte er heim, denn alle Farben waren abgelaufen.
So erfuhr Ivo schon frühe, wie wenig dem gemachten Spielzeuge zu trauen ist. Das Schicksal gab ihm aber reichlichen Ersatz für seinen Verlust.
Es war wiederum einmal spät in der Nacht, da war Alles im Hause wegen der Kalbin auf den Beinen; sie gebar ein Junges.
Ivo durfte nicht in den Stall, er hörte von ferne ein jämmerlich dumpfes Wehklagen, denn auch die Hausthiere hat der Fluch getroffen, daß sie »mit Schmerzen gebären«.
Als es kaum Tag war, eilte Ivo in den Stall. Er sah das schöne Kälbchen zu den Füßen der Mutter, es war ein Stromel 2 , die Mutter küßte und leckte es mit ihrer Zunge; niemand durfte sich ihm nahen, denn die Kuh war dann wie wütend, nur als Ivo hinzu kam und das Kälbchen schüchtern berührte, war die Allgäuerin ruhig; ihr Erstgebornes war ein Sohn, und Ivo ließ bei seinem Vater nicht nach, bis er ihm das Versprechen gab, daß man das Kälbchen »anbinden«, das heißt: großziehen wolle.
Von nun an war Ivo jedesmal in der Küche dabei, wenn der Wöchnerin warme Tränke bereitet wurde, und niemand als er durfte ihr den Kübel hinhalten.
Fast nie bleibt eine Freude ungestört, das erfuhr auch Ivo.
Eines Tages kehrte er aus der Schule heim, da sah er einen großen Hund auf der Hausschwelle stehen. Sorgsam ging er an ihm vorbei nach dem Stalle. Dort erblickte er einen Mann mit einem blauen Ueberhemde, ein roth und gelb gewürfeltes Halstuch hing lose geknüpft an seinem Halse, und in
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