Schwarzwaelder Dorfgeschichten
konnte Ivo auch ein Wort mitsprechen. Auf dem Heimwege gesellte er sich zu seinen zwei Ortskindern, zu des Johannesle's Constantin und zu des Hansjörgs Peter; Constantin sagte, der jüngste der Studenten müsse den älteren immer die Bücher tragen, und Ivo ließ sich die schwere Bürde ohne Widerrede aufladen.
Oben an der Steige aber sahen sie die Mutter Christine, die ihrem Sohne entgegengegangen war; die Bücher wurden ihm abgenommen. Ivo sprang jubelnd seiner Mutter entgegen, aber mitten drin hielt er ein, er schämte sich vor den großen Burschen, seiner Mutter um den Hals zu fallen, und duldete selbst ihre Liebkosungen nur ungern.
Die Mützen auf die Seite gerückt, mit ihren Büchern unterm Arme stolzierend, gingen die beiden größeren Studenten durch das Dorf.
Ivo hatte nun seiner Mutter und zu Hause dem Nazi gar viel zu erzählen, als ob er über dem Meere gewesen wäre. Er kam sich auch als was Rechtes vor, da man für ihn besonders gekocht hatte und ihm besonders auftrug. Selbst das Gretle, das ihm fast nie ein gutes Wort gab, war jetzt freundlicher gegen ihn; er kam ja aus der Fremde.
So wanderte nun Ivo von Tag zu Tag in die lateinische Schule.
Um dieselbe Zeit war auch mit dem Muckele eine große Veränderung vorgegangen, es stand nicht mehr so fröhlich im Stalle, denn es war zum Zugthiere gezähmt worden. Ivo glaubte, das Thier leide durch seine Entfernung vom Hause, und er war sehr betrübt.
In der lateinischen Schule aber ging Alles vortrefflich.
Wie Ivo schnell in den zu weit angemessenen Rock hineinwuchs, so erfüllte er auch bald alle seine neuen Verhältnisse und fühlte sich behaglich darin.
Die innige Beziehung zu Nazi litt sehr, denn sie konnten nicht mehr so Alles mit einander theilen; die genauen Berichte hörten auch nach und nach auf, es gab immer seltener etwas Wichtiges zu erzählen, und Ivo setzte sich, wenn er nach Hause kam, meist still hinter seine Bücher. Dagegen trat die Frau Hanklerin in ein freundschaftliches Verhältnis. Sie sagte immer: »Man könne sich mit Ivo ausschwatzen wie mit einem Alten.« Sie erzählte ihm viel von ihrem verstorbenen Mann, und Ivo half ihr sorgen und raten, wenn der vierteljährige Hauszins zu bezahlen war.
Mit des Oberamtmanns Kindern stand Ivo in beneideter Freundschaft.
Und Emmerenz? Sie war jetzt neun Jahre alt, ging in die Schule und diente in den Freistunden als Kindsmagd bei dem Schullehrer.
In einem Lebensalter, in welchem sonst die Kinder nur mit der Puppe spielen, hatte Emmerenz eine lebendige anspruchsvolle Puppe zu versorgen; aber sie that es meist mit kindlicher Lust und Spielerei. Nur wenn Valentin nicht zu Hause war, durfte sie mit ihrem Kind bei ihm »ause laufen,« d.h. Besuchmachen, sonst war sie »unwerth.« 1 Der Zimmermann konnte das Kindergeschrei nicht leiden. Er ward überhaupt immer krittlicher und unzufriedener. Ivo sah nun zwar die Emmerenz hin und wieder, aber die beiden Kinder hatten eine gewisse Scheu voreinander, besonders Ivo bedachte ernstlich, daß es sich für ihn, als künftigen Geistlichen, nicht schicke, so vertraut mit einem Mädchen zu sein. Er ging oft mit seinen Büchern an Emmerenz vorbei, ohne sie zu grüßen.
Auch sonst sah sich Ivo vielfach von seinen alten Lieblingssachen hinweggedrängt. Wenn er zu Hause war und nach alter Gewohnheit in den Stall ging, um dem Nazi zu helfen, den Stier, die Allgäuerin und den Falb zu füttern, da jagte ihn oft sein Vater hinaus mit den Worten: »Fort, du hast nichts im Stall zu schaffen, gang du zu deinen Büchern und lern was Rechts, du mußt Hajrle werden. Meinst du, man gibt das Heidengeld umsonst aus? Marschir' dich.«
Mit schwerem Herzen sah Ivo, wie die anderen Knaben die Pferde zur Schwemme ritten, oder stolz auf dem Sattelgaul an einem garbenvollen Wagen saßen. Mancher schwere Seufzer entstieg seiner Brust, während er die Heldenthaten des Miltiades über'setzte; ihm wäre es draußen im Schießmauernfeld beim »Zakkern« viel wohler gewesen, als hier auf dem Schlachtfelde bei Marathon. Er sprang oft vom Stuhle auf und schlug um sich, gleich als erfüllte er damit sein innerstes Streben.
Auch das entfremdete Ivo vom elterlichen Hause, daß er hier mitten unter den Seinigen seinen Geist mit Dingen erfüllte, um die sich sonst niemand bekümmerte; er konnte mit keinem davon sprechen, auch mit dem Nazi nicht. So war er mitten in seinem Hause ein fremder Mensch, mit ganz andern Gedanken als die übrigen.
Der Nazi aber dachte darüber nach, wie er
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