Schwarzwaelder Dorfgeschichten
dem oft so betrübten Knaben eine rechte Freude machen könne. Ivo hatte ihm oft mit Entzücken erzählt, welch einen schönen Taubenschlag des Oberamtmanns Buben hätten, und nun zimmerte Nazi in seinen Freistunden den verfallenen Taubenschlag zurecht, kaufte für sein eigen Geld fünf Paar Tauben und Wicken zum Futter. Ivo fiel dem Knechte um den Hals, als er ihn eines Morgens, ohne ein Wort zu reden, auf die »Bühne 2 « führte und ihm alles Vorbereitete schenkte.
Man mußte nun Ivo sehen, wie er des Sonntagmorgens hemdärmelig unter dem Nußbaume stand, die Arme auf der Brust übereinander geschlagen, mit seliger Spannung hinaufschauend nach den lieben Thierchen auf dem Dache, die ihre Morgengespräche hielten, ihre Verbeugungen machten und endlich lustig aufflatterten hinaus in's Feld. Von den Besitztümern, die er fassen konnte, die mit ihm auf der Erde wandelten, war er nun an solche gekommen, die er nur noch mit liebenden Blicken begleiten durfte; nur durch den unsichtbaren Gedanken besaß er sie, fassen und liebkosen durfte er sie nicht, sie flatterten dahin frei in die Luft, und nur mit den Banden des seligsten Vertrauens hielt er sie fest.
Kann man dieß nicht als ein Sinnbild der Lebenswendung ansehen, die das Schicksal Ivo's genommen?
Da stand er dann in dem sonnenhellen Morgen unter dem Nußbaume, den Blick liebend nach oben gewandt. Er pfiff den Thierchen auf dem Dache, sie kamen zu ihm hernieder, tänzelten vor seinen Füßen und pickten das Futter auf, das er ihnen hinwarf, aber er durfte sich nicht rühren, um seine Freude auszudrücken, still mußte er sie in seiner Seele hegen, wenn er nicht alle plötzlich aufscheuchen wollte, und so summte er au den Baum gelehnt oft das Lied, das ihn Nazi gelehrt:
Alles, was auf Erden schwebet,
Gleichet keiner Taube nicht.
Tauben das sind schöne Thier,
Tauben die gefallen mir,
Tauben die gefallen mir.
Morgens fruh um halber achte
Steig ich vor mein Bett heraus,
Schau was meine Tauben machen,
Ob sie schlafen oder wachen,
Ob sie noch bei Leben sein.
Morgens fruh um halber neune,
Fliegen sie nach Nahrung aus,
Da wird mir's ganz angst und wehe,
Weil ich keine Tauben sehe,
Keine in dem Schlag mehr seh.
Abends spat dann kommen sie wieder,
Fremde haben sie mitgebracht;
Sperr ich sie fein sauber ein,
Daß sie möchten sicher sein
Vor dem Marder in der Nacht.
Wenn Ivo dann in die Kirche kam, war seine Seele so voll Liebe und kindlichen Zutrauens, daß er fast immer: »guten Morgen, Gott!« sagte. Mit einem heimischen Wohlgefühle ging er dann in die Sakristei, kleidete sich als Ministrant an und verrichtete beim Hochamte seine Obliegenheiten.
Eine tiefinnige Gottesfurcht, getragen von einer glutvollen Liebe zur Mutter Gottes und besonders zu dem lieben herzigen Christkindchen, wohnte in der Seele Ivo's. Mit besonderer Freude dachte er daran, daß auch der Heiland eines Zimmermanns Sohn gewesen und sich auf den Balken seines Vaters sonnte.
Von allen heiligen Tagen war Ivo der Palmsonntag der liebste; er machte fast noch mehr Eindruck auf ihn als der Karfreitag. Schon Wochen vorher stellte man Weiden, Pappeln und andere Zweige in's Wasser, damit sie grünen; mit den in Büschel gebundenen frühgrünen Reisern umstanden dann die Kinder den Altar zum Andenken an den palmenbegrüßten Einzug Christi in Jerusalem. Die Sträuße wurden mit Weihwasser besprengt und dann im Stalle aufgehängt, damit den Thieren kein Schaden geschehen konnte. Zu Hause war den ganzen Tag alles so ernst und feierlich, man hörte kein lautes Wort, selbst vom Vater nicht; ein jedes behandelte das andere freundlich und liebreich, so daß Ivo ganz glückselig war.
Schon frühe machte sich indes auch in religiösen Dingen ein gewisser Geist des Nachdenkens bei ihm geltend. Der Kaplan erklärte einst, daß der heilige Petrus deshalb den Schlüssel trage, weil er den Seligen die Himmelsthüre öffne.
»Ei, wie denn?« fragte Ivo, »wo sitzt denn der?«
»Am Himmelsthor.«
»Ei, da kommt ja der gar nicht in den Himmel, wenn der da sitzen muß, um den andern aufzumachen?«
Der Kaplan sah Ivo betroffen an und schwieg eine Weile, dann aber sagte er mit vergnüglichem Lächeln: »der findet eben seine himmlische Seligkeit darin, Anderen die Thore des ewigen Heils aufzumachen. Das ist die höchste Tugend, sich an der Glückseligkeit Anderer zu freuen und für sie zu arbeiten; das ist der hohe Beruf des heiligen Vaters zu Rom, der den Schlüssel Petri auf
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