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Schwarzwaelder Dorfgeschichten

Titel: Schwarzwaelder Dorfgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berthold Auerbach
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mehr in das Kloster zurückzukehren. Auf dem Wege erschien dann Ivo die Welt nicht mehr so schön, die Leute nicht mehr so gut; denn die Welt in ihm hatte eine andere Gestalt angenommen.
    Zu Hause zog sich Ivo nicht mehr so streng von Constantin zurück, das Leben in seinem elterlichen Hause erschien ihm nicht mehr so gedrückt; er sah, daß fast kein Mensch auf Erden, für sich allein betrachtet, ganz glücklich ist, daß also eine Gemeinschaft des Lebens, in der Ehe, in der Familie, auch manches Unvollkommene und Unglückliche haben muß.
    Die Welt der Ideale war ihm eingesunken. Nur manchmal erhob er sich noch in innigem Gebete über alle Mißlichkeiten und Herbheiten des Daseins, aber auch selbst in die himmlischen Heiligtümer verfolgte ihn bisweilen der Gedanke der Unvollkommenheit und Mangelhaftigkeit. Er war sehr unglücklich. Die Leute hielten sein verstörtes Aussehen für eine Folge des Studiums. Es schnitt ihm tief durch die Seele, wenn ihn seine Mutter bat, sich nicht so übermäßig beim Studieren anzustrengen; er konnte der guten Frau nicht klar machen, was ihn bedrückte; war es ja ihm selber nicht klar.
    So, in der Fülle der Lebenskraft stehend, fühlte er sich doch lebensmatt und kampfesmüde; er hatte das Rätsel des Daseins noch nicht überwunden und glaubte, daß nur der Tod es löse.
    In der vorletzten Vacanz, vor dem Abgange nach Tübingen, erfuhr Ivo einen herben Verlust; er traf seinen Nazi nicht mehr im Hause. Das Gretle hatte sich mit Xaver verheirathet, der Widerspruch des Vaters war endlich besiegt worden, und sie war mit nach Amerika gezogen; jetzt fehlte es an weiblicher Hülfe im Hause, die Söhne Valentins konnten das Feldgeschäft schon allein besorgen, und so wurde der Nazi verabschiedet; er war fortgegangen, ohne zu sagen, wohin. Der Taubenschlag war leer, und die Thiere im Stalle schienen mit Ivo um den fernen Freund zu trauern.
    Freilich war Emmerenz dafür als Magd in's Haus gekommen. Sie war ein starkes, munteres Mädchen geworden, etwas kurz und untersetzt, so was man »mockig« nennt, man konnte sie wohl zu den Hübscheren im Dorfe zählen; aber Ivo widmete ihr längst keine Aufmerksamkeit mehr, die Liebe zu seinem Clemens hatte sein ganzes Herz erfüllt. Es waren Vacanzen vorübergegangen, in denen er Emmerenz nicht einmal angesprochen. Jetzt betrachtete er sie bisweilen verstohlen, schnell aber wendete er dann, wenn er dessen inne wurde, den Blick. Nur einmal, als er sie im Stalle so freundlich walten sah, sagte er: »Das ist brav, Emmerenz, daß du das Vieh gut versorgst; gib nur auf den Falb und die Allgäuerin recht Acht.«
    »Ich weiß wohl,« erwiderte die Angeredete, »das sind deine alten Lieblinge; guck, das gefällt mir jetzt, daß du sie so gern hast,« und gleichsam um einen alten Klang aus seiner Kindheit in ihm zu wecken, sang sie, während sie der Allgäuerin Futter aufsteckte:
     
    Da droben auf'm Bergle,
    Da steht e weißer Schimmel,
    Und die brave Büebele
    Kommet alle in Himmel.
     
    Und die brave Büeble
    Kommet et allein drein,
    Und die brave Mädle
    Müsset au dabei sein.
     
    Ivo ging still davon, hinaus in das Veigelesthäle, wo er einst einen ganzen Tag mit dem Nazi »gezackert« hatte; er meinte fast, er müsse hier eine Kunde von ihm finden. Er beneidete seine Brüder, die hier arbeiteten, die am elterlichen Tische mit den Ihrigen Freud' und Leid theilten, die niemand als ihren natürlichen Obern zu gehorsamen hatten.
    Mit erneuter Innigkeit schloß sich Ivo nach der Rückkehr in's Kloster an seinen Clemens an; er mußte ihm jetzt auch den verlorenen Nazi ersetzen.
    Der letzte Sommer, der nun in Ehingen zu verleben war, bracht auch mannigfache Abwechselung. Clemens war aus einer großentheils prothestantischen Stadt; er kannte daher mehrere von den Klösterlingen in Blaubeuren, die etwas mehr Freiheit hatten; sie kamen nun bisweilen nach Ehingen, gingen zum Direktor; einer sagte, daß er ein Landsmann von Clemens, der andere, daß er desgleichen von Ivo sei, und so andere von andern. Die Landsleute erhielten nun einen Mittag frei, und im nahen Dorfe, unter fröhlichen Liedern, das volle Glas in der Hand, trank Ivo manchen Schmollis mit den prothestantischen Klösterlingen. Sie waren beiderseits nicht frei, wenn auch die Blaubeurer einzelne Freiheiten mehr hatten.
    Die Studentenzeit stand wie ein lichtglänzender, von Süßigkeiten behangener Weihnachtsbaum vor der Seele aller dieser Jünglinge, und sie rüttelten gewaltsam an den Pforten vor der

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