Schwarzwaelder Dorfgeschichten
aber ging oft seine Phantasie durch. Alles, was er sah, regte ihn an, er vergaß dann das nächste; von den Lehrern gefragt, erwachte er oft wie aus einem Traume und gab zerstreute Antworten.
Der geheime Bund konnte indes den andern Mitschülern nicht lange verborgen bleiben; denn wie Liebende sich oft lange für unbemerkt halten, während sie sich die offenkundigsten Zeichen der Zuneigung gehen, so erging es auch unsern Freunden. Die hohe Stellung Ivo's machte, daß die hieraus entstehenden Spöttereien und Neckereien nicht lange dauerten, ja es drängten sich alsbald noch mehrere in den Freundschaftsbund; aber die Pforten waren streng geschlossen, besonders Clemens wachte sorgsam, und die Fremden zogen sich bald zurück. Nur als Bartel sich mit großer Unterthänigkeit zu den beiden gesellte und offen um ihre Freundschaft bat, da nahm ihn Ivo auf. Er durfte sich nun auf den Spaziergängen zu ihnen halten, auch in Hof und Garten bei ihnen sein. Der Bartel war, wenn er vollauf gegessen hatte, ein gar eifriger und wißbegieriger Knabe, er that gern Alles, um nur auch recht geschickt zu werden und auch obenan zu sitzen; so lieb er daher Ivo und Clemens hatte, so war ihre hohe Stellung doch auch mit ein Grund seiner Annäherung; in das innerste Heiligtum ihrer Freundschaft, das hatte sich Clemens vorausbedungen, wurde jedoch Bartel nicht zugelassen.
Von ihren phantastischen Spielereien gelangten unsere Freunde auf ein anderes Gebiet, das sich mehr der Wirklichkeit näherte; in dem hohen Schwunge ihres Strebens suchten sie sich nämlich erhabene Vorbilder, Ideale.
Man hatte einst einen größern Spaziergang Blaubeuren zu unternommen; dort, auf einem hohen Berge, auf einem Felsenvorsprung, wo man das liebliche Thal der Blau überschaut und fernher das Ulmer Münster und die Donau erblickt, dort, hatte Clemens angeordnet, sollten sie sich ihren Fund offenbaren.
Auf dem Vorsprunge des Berges saßen nun die drei Knaben und schauten hinaus in die endlose Ferne.
»Wer ist dein Ideal, Ivo?« fragte Clemens
»Sixtus. Meine gute Mutter, die sagt immer: man kann Alles erreichen, wenn man rechtschaffen will, das hat Sixtus auch gezeigt.«
»Du willst also auch Papst werden?«
»Wenn's geht, warum nicht? Ich will jetzt einmal.«
»Und ich,« sagte Clemens, »ich habe mir einen viel Unheiligern gewählt, mein Ideal ist Alexander der Große.« Er erklärte nicht, inwiefern er ihm nacheifern wolle, denn Bartel fragte in weinerlichem Tone:
»Wen soll ich mir denn zum Ideal nehmen?«
»Frag' den Direktor,« erwiderte Clemens ernsthaft, Ivo Schweigen zuwinkend.
Bartel merkte sich die Rede des Clemens, und als man heimgekehrt war, ging er zum Direktor, klopfte an, und auf das »Herein« trat er in die Stube und sagte zitternd und stockend:
»Herr Direktor, verzeihen Euer Hochwürden, ich hab' Sie bitten wollen, ich möcht' mir gern ein Ideal wählen, ich weiß nicht, wen soll ich mir denn nehmen?«
Der Direktor stand eine Weile still, dann sagte er, den Finger nach oben erhebend: »Gott.«
»Ich dank' vielmal, Herr Direktor,« sagte Bartel, sich verbeugend und die Stube verlassend. Er sprang schnell zu seinen Freunden und rief frohlockend: »ich hab' eins, ich hab' jetzt auch ein Ideal.«
»Wen denn?«
»Gott,« sagte Bartel, ebenfalls den Finger nach oben erhebend.
»Wer hat dir denn das verrathen?« fragte Clemens neckisch und zupfte dabei den Ivo.
»Der Direktor.«
Ivo kehrte sich aber nicht an die stille Ermahnung seines Freundes, sondern setzte dem Bartel auseinander, wie man sich nur figürlich Gott zum Ideal nehmen könne, da man ja nie allmächtig oder allwissend werde; freilich bleibe Gott das höchste Endziel, aber dazwischen seien die Heiligen da, die stünden uns näher, bei denen könnten wir leichter mit unserm Gebet ankommen, und wenn's geht, könnten wir auch werden wie sie.
»Heiliger Ivo, ich will nichts von dir,« sagte Clemens und ging zornig davon; ihn ärgerte, daß Ivo jeden Spaß verdarb, und er redete den ganzen Abend und den andern Morgen kein Wort mit ihm.
Auch sonst war der Bartel vielfach Veranlassung zu Zerwürfnissen zwischen den Freunden. Clemens hatte sich in den Kopf gesetzt, die ganze volle Freundschaft seines Ivo sei ihm durch den Eindringling geschmälert. Er nahm nun allerlei Gelegenheiten wahr, um seiner Eifersucht Nahrung zu geben. Einst sprach er deshalb mit Ivo acht Tage lang kein Wort, nur seine Blicke verfolgten ihn überall, wie mit einer wahnsinnigen Leidenschaft; am
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