Schwarzwaelder Dorfgeschichten
letzten Abende warf er Ivo ein Zettelchen auf sein Buch, worauf die Worte standen: »Heute nacht, Schlag zwölf Uhr, kommst du auf den Kirchthurm, oder wir sind auf ewig geschieden.«
Von den grausamsten Qualen gemartert, wälzte sich Ivo auf dem Lager, er fürchtete, die Frist zu verschlafen, und zählte jede langsame Viertelstunde. Als der erste Schlag von Zwölf ertönte, huschte er aus seinem Zimmer; aus dem andern, worin Clemens war, kam dieser ebenfalls. Schweigend gingen sie mit einander den Turm hinan, der letzte Ton hatte ausgeklungen, da begann Clemens:
»Gib mir deine Hand darauf, daß du von dem Bartel ganz lassen willst, wo nicht, so stürz' ich mich da grad hinab.«
Ivo stand schaudernd und faßte die Hand seines Freundes.
»Kein Wort! Ja oder Nein!« knirschte Clemens.
»Nun ja, ja! Der arme Kerl dauert mich, aber du bist ganz verwildert in den acht Tagen.«
Clemens umarmte und küßte Ivo, dann stieg er schweigend die Treppe hinab und verschwand in seinem Zimmer.
Andern Tages war Clemens wie zuvor, heiter und innig. Ivo durfte beim Tageslicht nie von jenem nächtlichen Begebniß sprechen, der Bartel tröstete sich auch bald über seine Verabschiedung.
Während der unruhige Geist des Clemens in allerlei Seltsamkeiten abenteuerte, fühlte Ivo eine andere Unruhe. Das Wachstum seinem Körpers war fast noch rascher vorgeschritten als das seines Geistes, er war lang und breitschulterig; aber wenn er so an dem Pulte vor den Büchern saß, da raste Alles Blut wild in ihm, und er stand oft auf, sich gewaltsam bäumend und reckend. Er hätte gern irgend eine gewaltige Last frei in die Höhe gehoben, aber es bot sich ihm nichts als eine schwere Periode irgend eines klassischen Autors. An dem Turnen, das nur sehr mangelhaft betrieben wurde, hatte Ivo keine rechte Freude; er wollte etwas thun, eine wirkliche Arbeit vollbringen. Wenn er dann mit seinem Freunde draußen spazieren ging, klagte er oft, daß er nicht pflügen und nicht schneiden dürfe. Er war von Kindheit auf an Körperthätigkeit gewöhnt, später hatte der Gang nach der lateinischen Schule die Bewegung in der Arbeit ersetzt; nun aber war es ihm wie einem Riesen, dem man statt der Keule eine Nähnadel in die Hand gegeben.
Einst sagte er zu Clemens: »Guck, das ist mir so arg, daß ich mit der Bibel nicht recht einig bin; da ist die höchste Straf' für die Erbsünd': ›daß der Mensch im Schweiß seines Angesichts sein Brod essen soll‹. Daß man recht schaffen muß, das ist ja grad das größte Vergnügen.«
»O du!« erwiderte Clemens, »was geht dich das Alte Testament an? das ist für die Juden, und für die paßt's, denen ist Schaffen das ärgste Kreuz.«
Es ist wunderbar, wie Clemens diesen bekannten Kniff der Theologen, wenn sie sich mit dem Alten Testament nicht mehr helfen können, aus sich selber fand. Clemens blieb aber nicht bei derlei Erörterungen, er vertraute vielmehr auch seinerseits seinem Freunde, wie es ihn dränge, mit Gefahren zu kämpfen, fremde Länder und Gebiete zu durchstreifen. Die beiden Freunde redeten sogar viel von einer Flucht aus dem Kloster. Sie malten sich's gar schön aus, wie sie auf einer unbewohnten Insel ankämen, wo sie mit den wilden Thieren kämpften und den Boden zum erstenmal umpflügten. Es blieh indes bei dieser Gedankenflucht; die Gesetze des Klosters und die Familienbande hielten sie in der Heimath fest.
Die Innigkeit der beiden Freunde nahm fast mit jedem Tage zu, und so verschieden auch ihre Charaktere waren, sie fanden sich doch einig in der Liebe.
Ivo ließ es ohne Trübsal geschehen, daß er seinen ersten Platz verlor und sogar so weit hinunterrückte, daß der Bartel über ihn kam; diese äußerliche Hintansetzung freute ihn fast, sie bekundete seine Unlust an dem Studium. Das Bewußtsein, daß er mehr war, als es schien, that ihm wohl, es gab ihm eine gewisse Selbständigkeit, eine gewisse Abgeschlossenheit der Außenwelt gegenüber. Mit den untersten Dienern des Klosters, mit den Holzhackern, schloß Ivo einen geheimen Bund. Mit einem Eifer, als gälte es, die ganze Erdkugel zu zerspalten, führte er im geheimen die Axt, bis endlich ein Professor diese Ausschweifungen gewahr wurde und Ivo dafür im Karzer büßen mußte.
So war Ivo von dem ersten und fleißigsten der Schüler zu einem der letzten und widerspenstigsten herabgesunken.
Wenn die Vacanz kam, trennten sich die beiden Freunde mit fieberhafter Wehmuth; sie trösteten sich mit dem Wiedersehen und wünschten doch, nie
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