Schwarzwaldau
in meinen Erinnerungen bis in die früheste Kindheit und besann mich eines tüchtigen Menschen, der meinem Vater als Leibjäger gedient hatte und kurz vor dessen Tode in unsern Wäldern als Förster angestellt worden war. Ich besann mich, wie lieb dieser Mann mich gehabt, da ich ein kleiner Knabe gewesen. Zu dem wollt' ich den Weg suchen, wollte ihm die Sache vorstellen, wollte ihn bitten, mir vom Leben zu helfen. Als ich mich bei dem Commissair meldete, unter dessen specielle Aufsicht ich gegeben war, um eine Reiseerlaubniß einzuholen, legte dieser mir natürlich die Frage vor: was ich bei dem Förster zu suchen hätte? In der Verlegenheit, da ich auf eine solche Frage nicht vorbereitet war, stotterte ich: ob er mich in die Lehre nehmen möchte, will ich versuchen. Gott geb's, daß er Dich nimmt, sprach der Commissair, daß Du untergebracht wirst, daß wir einen gefährlichen Menschen weniger zu fürveilliren haben; aber ich glaub's nicht. Indessen versuche . . . . (er wollte fortfahren: Dein Glück; doch ich warf ihm einen unheimlichen Blick zu, und er sagte:) Versuchen Sie Ihr Glück! Da sah ich denn die Fluren wieder, wo ich geboren, wo ich ein glückliches Kind gewesen bin. Unter dem ›glücklich sein‹ will ich nicht die Pracht und Fülle verstanden wissen, worin man mich wiegte und auferzog. Ich meine etwas Anderes; meine jenes Gefühl heimathlich-ländlicher Wonne, welches ich nicht mehr empfunden hatte, seitdem ich die öffentliche Schule besuchte; welches mich nun überkam, da ich die Grenzen unserer ehemaligen Feldmark überschritt und welches, wie Sie leicht denken können, einen furchtbaren Gegensatz bildete zu den Ereignissen des letzten Jahres. Die Försterei war bald gefunden. Förster Daniel erkannte mich sogleich. Das Gerücht hatte ihm zugetragen, was ich begangen, was ich verschuldet. Sein scharfes Auge entdeckte im verstörten, verwüsteten achtzehnjährigen Jüngling den muntern Knaben, der so häufig auf seinen Knieen geritten war. Baron Franz rief er mir entgegen, – wollte er mir entgegenrufen, denn Thränen erstickten fast die Stimme. Ich heiße nicht mehr, wie Sie mich anrufen, Daniel, sagte ich; Franz Sara ist mein Name; den bring' ich aus dem Zuchthause mit. Der Sohn Ihres Herrn ist ein gemeiner Dieb; ein Ausgestoßener, der wieder unter die honetten Leute gehen wollte, den aber diese honetten Leute von sich weisen. Ich möchte nirgend mehr beschwerlich fallen. Ich möchte in einen andern Welttheil reisen, oder in eine andere Welt, – wie Sie's nennen wollen. Nur fehlen mir die Mittel. Wie wär' es, wenn Sie mir Büchse und Kugel borgten? Einen Schuß Pulver bin ich allenfalls noch werth. Der alte Daniel, – denn er war sehr alt und grau geworden seit ich ihn nicht gesehen, – fiel mir mit beiden Händen um den Hals. Ich weiß Alles, schluchzte er; es ist unnöthig, daß wir darüber sprechen. Was vergangen ist, steht nicht zu ändern. Aber die Zukunft haben wir noch vor uns. Die wollen wir benützen. Meine Herrschaft ist gut; ich gelte was bei unserm Grafen; wenn ich ihn bitte, setz' ich's durch, daß ich Sie als Lehrling aufnehmen darf. Spüren Sie Lust, ein gerechter Waidmann vor dem Herrn zu werden? Ich fiel ihm zu Füssen und umklammerte seine Kniee: Mit einem Sträfling wollen Sie das wagen? einen Corrigenden nehmen Sie in Ihr Forsthaus auf? Ich nehme den Sohn des verstorbenen Barons, meines unvergeßlichen Wohlthäters auf, erwiderte Daniel. Und Gott sei Dank, ich und meine Alte, wir stehen so im Dorfe und in der Umgegend, daß kein Mensch wagen wird, sich dawider zu vermäulen! – Was er versprach, hat er gehalten. Der Graf willigte ein. Der Pastor brachte in einer der nächsten Predigten deutliche Winke an über die Verpflichtung des Christen, Demjenigen, der in sich gehen und umkehren wolle von früh betretenen Irrwegen, liebreich entgegenzukommen und seine guten Absichten zu erleichtern. Das übte sichtbare Wirkung auf die ganze Gemeinde. Ich wurde gut behandelt. Sogar der Graf und dessen Familie zeigten mir, bei zufälligen Begegnungen, daß es ihnen Ernst sei mit ihrer Theilnahme und daß sie an mich glaubten. Die Wunden meines Herzens heilten sich nach und nach im grünen Walde aus. Daniel war mit mir zufrieden. Ich that meine Schuldigkeit. Es klingt unglaublich, doch ist es wahr: als ich nach Ablauf von drei Jahren meinen Lehr- und Freibrief als gelernter Jäger aus der gräflichen Amtskanzelei empfing; als ich die Worte: ›treu, fleißig, geschickt,
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