Schwarzwaldau
hartnäckige Zähigkeit entgegen; fand sich durch die Anfrage schon beleidiget; erklärte: so schlimm stehe es noch nicht mit ihm, daß er ›seine Wälder verschachern müsse;‹ was denn zur Folge hatte, daß zwischen den Häusern Thalwiese und Schwarzwaldau fortwuchernder Groll, deßhalb auch gar kein Umgang statt fand.
Jener ›Waldsee‹ zog des Pirnaer's Zweigespann kurz vor Ablauf seiner Fahrt noch einmal vom Pfade der Pflicht und Tugend ab. Es spürte Durst und schlug selbstsüchtig den Irrweg täuschenden Genusses ein, der aber so schmal unter Bäumen sich durchwand, daß der von Carolinens Geschrei aus dem Schlummer geweckte Kutscher keinen andern Rath wußte, als bis an eine Stelle zu fahren, wo Raum vorhanden sei, wieder umzulenken. Sie gelangten also zum Tümpel, – an dessen schilfbewachsenem Ufer ein junger Mann, neben sich eine Flinte, lang ausgestreckt in tiefem Schlafe lag; so tief, daß ihn der durstigen Pferde sehnsüchtiges Gewieher nicht erweckte.
»Der kann's besser wie ich,« meinte der Kutscher, »und ich weiß doch auch etwa, was schlafen heißt!« Dann machte er das kleine hölzerne Gefäß, welches ein ächter Hauderer aus jener Zeit niemals daheimließ, vom Stricke, der es mit unzähligen andern hoch aufgepackten Reise-Utensilien verband, langsam los und äußerte: »Weil wir denn doch einmal hier sind, wollen wir den Pferden ihren Willen thun; auf ein Viertelstündchen früher oder später kommt Sie's ja nicht mehr an, mein gutes Mamsellchen?«
»So erkundigt Euch wenigstens,« sagte Caroline ärgerlich, »um den nächsten Weg nach Schloß Schwarzwaldau, damit wir nicht unnützerweise noch einmal die Richtung verfehlen.«
»Das können Sie ja thun, mein sehr gutes Mamsellchen; unterdessen werd' ich Sie Wasser schöpfen und meine Pferde tränken; der junge Herr giebt gewiß lieber Auskunft, wenn ihn eine schöne Dame fragt. Ei ja, mein gutes Mamsellchen!«
Und der Pirnaer überließ es Carolinen, den Schläfer aus tiefster Ruhe aufzustören. Sie wußte nicht, wie sie es anfangen sollte, obgleich die Kutsche dicht neben ihm hielt, und sie ihn mit ihrem Sonnenschirme hätte berühren können, wenn sie sich weit genug über den Schlag gebogen hätte! Vergeblich hustete sie zu verschiedenen Malen. Es wäre gewissermaßen eine Beleidigung für sie gewesen, hätte von ihrem zarten Geräusper aufwachen wollen, den das Wiehern Pirnaischer Lohnkutscherpferde nicht zu sich brachte. Sie versuchte weiter und begann erneuerte Zwiesprach mit dem Kutscher, wobei sie sich Mühe gab zu schreien, daß sogar der faule Sattelgaul die Ohren spitzte. Nichts da! . . . . ein Mundwinkel verzog sich allerdings im Antlitz des schönen Schläfers; doch das geschah, wie sich bei näherer Betrachtung zeigte, – denn wir leugnen es nicht länger: Caroline betrachtete sehr genau! – das geschah nur, weil ein fliegendes Insect in jener Gegend des Gesichtes saß, offenbar in der Absicht, die erst mit einem Anfluge von Bart sparsam umkränzte Lippe anzustechen. Und das wollte Caroline verhindern. Vielleicht hatte sie gelesen von Fliegen, die den Leichnam einer an Milzbrand gestorbenen Kuh verließen und das Gift des Todes auf den nächsten Menschen übertrugen, den sie im Fluge berührten? Sie fürchtete für den Unbekannten, dessen Züge sich ihr nun genugsam eingeprägt hatten, um ein Bild des Schlafenden mit sich zu nehmen. Wer wird ihr verübeln, daß sie zu erfahren wünschte, wie sich das edle Antlitz ausnehmen werde, wenn geschlossene Augen sich öffneten? Und von welcher Farbe mochten diese Augen sein? – Und diese häßliche Fliege dazu, die immer noch um die Lippen kriecht! –
»Kutscher, gebt mir auch zu trinken!«
Sie reicht ihm Vater Reichenborn's aus Horn gedrehten Reisebecher, den die Eltern ihr sammt unzähligen andern lästigen Bequemlichkeiten aufgedrungen. Der Pirnaer gießt Thalwieser Waldsee-Wasser hinein mit der feinen Bemerkung: Das Gesäufte sei den Pferden zu schlammig, es werde wohl dem guten Mamsellchen auch nicht schmecken? Doch sie heuchelt unbesieglichen Durst, setzt heftig an, um noch heftiger absetzen und mit einem: pfui, wie abscheulich! den Inhalt weggießen zu können. Galt es der gefahrdrohenden Fliege? galt es den geschlossenen Augen, die sich öffnen sollten? Gleichviel; die Fliege wurde fortgeschwemmt, die Augen öffneten sich; die Lippen wollten es auch; glücklicherweise erstickten eindringende Tropfen des grünlichen Getränkes den schon zur ersten Silbe gebildeten
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