Schwarzwaldau
einen Hieb mit der Kralle soll's mir nicht ankommen. Du drückst einen Kuß auf die Wunde – dann schmerzt sie nicht mehr. Wie ich aus Deinen Briefen entnehme, ist er selten im Schlosse; lebt mehr in Feld und Wald, als bei Dir. Lassen wir ihm seine Gewohnheiten. Meine Gegenwart soll ihn nicht derangiren. Sind wir Beide uns nicht genug? O wie beglückend wird im ungestörten Austausch tiefinnerster Gefühle und Gedanken diese ländliche Stille auf mich wirken; auf mich, die ich in unserm kleinen Neste gezwungen bin, meiner guten Eltern furchtbar langweiligen Umgang zu genießen und im unaufhörlichen Verkehr mit dieser Philisterwelt Alles in mich zu verschließen, wovon Herz und Seele überquellen. Mache Dich gefaßt, in den ersten Tagen gar nicht zu Worte zu kommen. Bis ich von mir herabgeredet habe, was mich bedrückt, dann ist die Reihe an Dir. Auf baldiges Ersehen von Angesicht zu Angesicht!
Deine Lina.‹
Wenn Agnes diese echt mädchenhaften Zeilen wieder durchflogen, belächelt und mit gutmüthig-spöttisch verzogenen Lippen gelispelt hatte: »das schmeckt noch recht nach der Pension!« – dann schaute sie nichts desto weniger ungeduldig nach dem Wege aus, ob es dem Pirnaischen Lohnfuhrmann nicht bald belieben würde, links einzubiegen, wo der Wegweiser seinen Arm ›Nach dem Schlosse‹ ausstreckt? Sie hatte gut ausschauen und harren; es zeigte sich nichts, was einem Lohnwagen aus Pirna, oder aus irgend einem andern Orte ähnlich sah. Wir dürfen nicht vergessen, daß wir im ersten Viertel des neunzehnten Jahrhunderts mit unserer Geschichte stehen. Schnellposten gingen wohl schon in Deutschland, aber nur zwischen bedeutenderen Städten, auf großen Kunststraßen. Ob bereits zwischen Dresden und Berlin? weiß ich kaum; keinesfalls hätte Vater Reichenborn Carolinen gestattet, einen öffentlichen Wagen zu besteigen, wo sie den Zufälligkeiten übermüthiger Reisegesellschaft ausgesetzt war. Er hatte sie dem Kutscher aus Pirna, einem alten Bekannten aus früherer Zeit, anvertraut, wie er in jenen Tagen, bevor er aus activem Kauf- und Handelsstande in den passiven Stand ruhig-beschaulicher Zurückgezogenheit getreten war, dem soliden Hauderer[Lohnkutscher] manche kostbare Kiste feinster Leinewand anvertraut hatte, ›zu prompter Bestellung,‹ wobei es auf etliche Tage früher oder später nicht ankam. Die väterliche Fürsorge befand sich dabei gut, denn auf des Kutschers Redlichkeit durfte Reichenborn bauen, Caroline wurde so sicher behütet, als ob sie eine Kiste Leinewand sei. Nur mit dem Unterschied, daß eine solche Kiste keine Langeweile kennt, mag es noch so langsam gehen; daß dagegen Caroline in der langweiligen Kutsche schier verzweifelte. Das ließ den Pirnaer kalt, wie wenn sein Herz aus heimischem Sandsteine bestände; er begnügte sich mit der Peitsche zu knallen, wenn irgend etwas, einem jüngeren Manne Aehnliches in der Nähe sich zeigte; wodurch er gleichsam ausdrückte: »Nichts für Euch, mein guter Freund, was ich hier als Frachtstück führe!« wodurch aber seine Pferde niemals veranlaßt wurden, den tiefen Sand in schnellerem Schritte zu durchwaten. Einigemale hatten sie sich auch, während ihr Lenker schlummerte, vom richtigen Wege verlaufen; hatten sich aus den trockenen Steppen allgemeiner Heerstraße nach irgend einer seitab-liegenden grünlich-lockenden Oase gezogen; und durch derlei leicht verzeihliche Irrthümer, waren manche Stunden versäumt worden. Die letzte dieser versäumten Stunden ist gerade die, wo wir Agnes lesend und harrend an ihrem Fenster beobachteten. Dicht an der Grenze von Schwarzwaldau, an welche ein ebenfalls bedeutender Grundbesitz sich lehnt, läuft ein schmaler Streifen Waldes, zu dem kleinen Landgute ›Thalwiese‹ gehörig, als Enclave zwischen durch, in einen von wirklich schönen und sehr alten Weidenbäumen umstandenen Tümpel mündend, den sein Besitzer eitlerweise ›Waldsee‹ genannt wissen will. Emil hatte sich bei Uebernahme väterlicher Erbgüter sehr angelegen sein lassen, diese vereinzelte Parzelle an sich zu kaufen; wobei er um so sicherer auf Herrn von Thalwiese's Entgegenkommen rechnete, als dieser bekanntlich in Geldnoth, das fragliche Stück Landes ursprünglich zu Schwarzwaldau gehörig gewesen, und vor einem halben Jahrhundert durch seinen (Emil's) eigenen Großvater dem jetzt noch lebenden Nachbar als Pathengeschenk unter's Taufkissen geschoben worden war. Doch der fünfzigjährige Täufling stellte Emil's Unterhändlern
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