Schwarzwaldau
Fluch. Dann erfolgte ein unwillkürliches Sprudeln, ein Griff nach dem Taschentuche, ein Abtrocknen des Mundes und der Wangen, ein halbes Sichemporrichten, endlich ein weites Aufreißen zweier großer dunkelblauer Augen, die sich unter schwarzbraunen Locken vortrefflich ausnahmen.
»Wo Teufel kommt das Fuhrwerk her?« murmelte der Verschlafene, der noch zu träumen wähnte.
Caroline schilderte in zwei Worten die Situation und bat um gütige Zurechtweisung.
»Schwarzwaldau?« – Und eine Falte des Unmuthes zog sich über die jugendliche Stirn. – »Wieder zurück, dann g'rad aus!«
Kaum gesagt, warf er sich wieder in seine vorige Stellung, um nachzuholen, was er jetzt versäumt.
Caroline, die nicht wissen konnte, wie die von Thalwiese sich zu denen von Schwarzwaldau verhielten, fand sich sehr beleidiget. Um so mehr, je länger und aufmerksamer sie denjenigen betrachtet zu haben sich eingestehen mußte, der sie nur eines einzigen Blickes gewürdiget.
»Das ist Sie, mit Respect zu sagen, ein rechter Lümmel, mein gutes Mamsellchen!« versicherte der Kutscher, nachdem er erst umgelenkt und die Pferde wieder in Gang gebracht.
Als Agnes endlich den ersehnten Reisewagen aus der Dorfgasse in den Schloßweg einbiegen sah und ihrer Freundin bis an die unterste Stufe der breiten steinernen Treppe entgegen eilte, hatte diese den Eindruck des Zusammentreffens am Waldsee noch nicht völlig verwunden. Sie klagte über Hitze, Staub, Müdigkeit, und bedauerte, sich der Freude des Wiedersehens nicht so lebhaft hingeben zu können, als sie gern möchte. Agnes führte die Theure in die für sie bestimmten Gemächer: »Hier, mein Linchen, erhole, erfrische, belebe Dich. Und frage ja nicht eher nach mir, als bis Du wieder Du selbst bist. Ich kenne nichts Dümmeres, wie wenn man sich in kindischer Ungeduld die Wonne erster Stunden durch Zwang verdirbt. Wer von langweiliger, einsamer Fahrt kommt, ist nicht aufgelegt zu schwatzen. Nimm keine Rücksicht auf mich. Hab' ich Dich ein Jahr lang erwartet, kann ich es auch noch eine Stunde. Nimm' Dir Zeit. Weiß' ich Dich doch unter einem Dache mit mir.«
Dabei verschwand sie aus Carolinens Zimmer und gönnte dieser, was sie bedurfte.
Fünftes Capitel.
Emil kehrte allein in's Schloß zurück. Franz hatte sich Bewilligung erbeten, in grüner Einsamkeit verbleiben und, was in ihm vorging, dort mit sich selbst abmachen zu dürfen. Es sei ihm unmöglich, hatte er seinem Herrn erklärt, heute, mit dem Bewußtsein jüngst abgelegter Geständnisse, bei Tafel aufwarten zu helfen, und den Teller unterm Arm Derjenigen gegenüber zu stehen, deren vielleicht zufälliges, harmlosestes Lächeln ihm Spott über seinen frechen Wahnsinn dünken würde.
Emil kam dieser Bitte, die er sehr gerecht fand, gütig entgegen; wie er denn überhaupt von Minute zu Minute in bessere Stimmung gerieth. Während auf Franz die Enthüllungen eigener, persönlicher Zustände und Lebensverhältnisse niederdrückend und beschämend nach zuwirken anfingen, fühlte der wohlhabende Gutsbesitzer, dem sie gemacht worden, sich dadurch gehoben und frisch belebt. Wie gering, wie leicht zu besiegen und zu beseitigen, erschien doch jetzt, was er gestern nur mit dem Herzblute eines gequälten Lebens abschütteln zu können wähnte, im Vergleich zu des armen Jägerburschen gerechtem Gram! Eingebildete Leiden, gegen wirklichen, wahrhaftigen Schmerz! Je mehr Neigung Emil für den verirrten Jungen empfand, desto günstiger wurde die Rückwirkung. Liegt es nicht in der Natur des Menschen, auch des gefühlvollen, mitleidigen, daß der besten Freunde Leiden sogar aufrichtigster, aus Mitgefühl hervorehender Betrübniß einen süßen Beigeschmack verleihen? Ach, wer mag unseres Herzens Widersprüche ergründen? Wer, dessen Geheimnisse enthüllen?
Agnes, durch die Gegenwart ihrer Freundin beglückt; Caroline freudig überrascht, im gefürchteten ›Wehrwolf‹ einen angenehmen, mild-freundlichen Wirth kennen zu lernen; dieser, in der besten Absicht, dem Leben neue Lust und Kraft abzugewinnen! . . . es wären kaum drei Tischgenossen aufzutreiben gewesen, mehr geeignet für ein behagliches, wechselseitig anregendes Gespräch. Auch befanden sie sich so wohl dabei, daß Agnes ohne Zögern Emil's Vorschlag zu einer Spazierfahrt nach aufgehobener Tafel annahm. »Wir werden,« sagte sie zu Carolinen, »noch Ueberfluß an langen Tagen haben, um wie zwei kleine Pensions-Schülerinnen mit einander zu plaudern; weisen wir ja seine Galanterie nicht
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