Schwarzwaldau
befremde, – ja in Verlegenheit setze. Agnes sowohl, als Emil nahmen das wahr und befragten sie um die Ursache? Sie erzählte, halblaut, ihre vormittägliche Begegnung am kleinen Waldsee und gestand, es mache ihr einen peinlichen Eindruck, nicht in's Klare darüber zu kommen, ob jener Mensch, den sie als Livreejäger gekleidet, jetzt einigemale an der Seite des Tafeldeckers durch's schwacherleuchtete Vorzimmer gehen sah, wirklich derselbe sei, gegen den sie sich heute, aus ihrer Kutsche heraus, eine Unart erlaubt habe?
»Ich wüßte kaum, wie Franz um die von Ihnen bezeichnete Stunde an die Thalwieser Grenze gerathen sein könnte?« entgegnete ihr Emil; »doch darüber wollen wir uns bald Gewißheit verschaffen.«
Ehe sie es noch zu verhindern im Stande war, hatte des Gebieters lautes: »Franz!« den Diener schon herbeigerufen, der wie mit Blut übergossen, glühendrothen Angesichtes gehorchte, und auf die an ihn gerichtete Frage eine kaum verständliche, verneinende Antwort stammelte; worauf er sich mit solcher Hast zurückzog, daß Agnes, die sich sonst um nichts zu bekümmern pflegte, was zwischen ihrem Gemal und dessen Dienern vorging, zu Carolinen gewendet flüsterte: »Wahrhaftig, trotz seiner Versicherung des Gegentheils, muß man glauben, er ist's gewesen, den Du aus tiefen Träumen schrecktest!?«
»Nein,« sagte Caroline beruhiget, »er war es keinesweges. Aber diese Aehnlichkeit ist das Merkwürdigste, was ich je von Aehnlichkeiten sah; gerade darum, weil es durchaus keine ist, und dennoch eine Verwechslung der Persönlichkeiten möglich macht. Bisher bin ich der Meinung gewesen, wenn man zwei verschiedene Menschen mit einander verwechseln solle, müßten sie sich an Gestalt und Zügen einander gleich sehen. Hier zeigt sich bei näherer Betrachtung keine Spur davon. Der Jäger trägt blondes, fast röthliches Haar, zeigt Anlage zum Fettwerden, hat kleine graue Augen, einen großen Mund und jene glatt und plattumschließenden Lippen, die mir von jeher zuwider sind. Mein unbekannter Schläfer dagegen, dessen Oberlippe wirklich bezaubernd-trotzig emporgeworfen über dem schönsten Munde hervorragt; dem dunkle Locken um die edle Stirn wallen; dessen tief-blaue Augen – sogar noch halb schlaftrunken – mächtig-groß aufleuchten; dessen Gestalt, soviel ich bei seiner Lage am Ufer entnehmen konnte, schlank und groß, wenigstens um einen Viertelkopf höher sein muß, als jene des Jägers; . . woraus entspringt da der Irrthum: Einen für den Andern zu halten? wie ich doch auf einen Moment gethan?«
»Du hast Dir den Uferschläfer sehr genau angesehn, Caroline,« lächelte Agnes ihr zu. Und Emil sprach: »Mein armer Franz kommt bei dem Vergleiche ein Bißchen zu kurz. So übel ist er nicht, und von röthlichen Haaren gar keine Rede. Aber ich wäre begierig zu erfahren, wer und woher Ihr verschlafener Protegé sein mag? Wahrscheinlich irgend ein fremder Umhertreiber?«
»Ich bin fest überzeugt,« erwiderte Caroline, »wenn Sie morgen sich hinausbegeben wollen, finden Sie ihn noch schlafend an derselben Stelle. Er sah mir aus, als ob er einen langen Schlaf zu thun gedächte.«
»Vielleicht,« warf nun Agnes ein, »ist er ganz einfach der Sohn unserer Nachbarsleute in Thalwiese, von dem ich bei meiner Ankunft in Schwarzwaldau mich erinnere gehört zu haben, er diene seine Soldaten-Zeit bei der Garde ab. Wahrscheinlich ist er heim gekommen und langeweilt sich zum Sterben im Hause der Eltern, die keine Mittel haben, ihm die große Stadt zu ersetzen!«
»Wie kann sich langeweilen,« fragte Caroline, »wer seine fünf Sinne und gesunde Gliedmassen besitzt?«
»Junge, hübsche Männer,« antwortete Agnes »ohne entschiedenen Beruf, welcher ihr Dasein hinreichend ausfüllt, haben das an sich. Und wohl ihnen noch, wenn sie das Talent besitzen, ihren Ennui zu verschlafen.«
Emil erröthete. »Was Du andeutest,« meinte er, »trifft nur Diejenigen, die im Ueberfluße leben. Wäre Deiner liebenswürdigen Freundin Unbekannter in Wahrheit, wie Du vermuthest, der Sohn aus Thalwiese, dann hätte dieser keinen Grund über Mangel an Beschäftigung zu klagen; die gänzlich vernachlässigte Wirthschaft seiner verkümmernden Eltern böte ihm reichliche Gelegenheit, eines gelangweilten Daseins Leere auszufüllen.«
»Und wenn er das nicht mehr vermag? Wenn es ihm an Energie fehlt, sich aus seinen lethargischen Träumen emporzuraffen?«
»Einem jungen Manne soll es an Energie fehlen können?« rief Caroline ungläubig
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