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Schwarzwaldau

Schwarzwaldau

Titel: Schwarzwaldau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl von Holtei
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weiß, was sie sagen wollte! Auf Carolinens erstaunte Frage, ob es einem jungen Manne daran fehlen könne, was den Mann macht, an Energie? wollte sie erwidern: sieh' doch nur den meinigen an! Aus Schonung für mich verschwieg sie's, weil ich zugegen war. Jetzt wird sie's der Neugierigen schon vertraut haben! Und hat sie nicht Recht? Bin ich nicht, mit allen edlen Eigenschaften und allen schönen Anlagen, die in mir leben, dennoch ein bedauernswerther Schwächling? Phantasie oder Leidenschaft können wohl ein flüchtiges Feuer in mir entzünden; es lodert heftig auf; aber es stählt meine Nerven nicht zu thatkräftiger Ausdauer; es erlischt augenblicklich, um eine lauwarme Erschlaffung zu hinterlassen. Ist es denn nicht fürchterlich, daß ich mich selbst so genau kenne und doch nicht im Stande bin, mich zu ermannen? Ja, ja, ich kenne mich, und will ich wahr, will ich ehrlich gegen mich sein, so muß ich mir's eingestehen: auch da ich die Spitze des Dolches erhob, sie in mein Herz einzubohren; auch da ich mir vorschwindelte, ich wollte sterben; auch da mangelte mir's an nachdrücklicher Kraft, an festem Willen. Verwundet würd' ich mich haben, – nicht getödtet! Das darf ich mir jetzt nicht mehr verhehlen. Denn wäre es anders mit mir bestellt, wie könnt' ich so willig einem Leben mich wieder zugewendet haben, dessen Last ich eine Stunde vorher für unerträglich erklärte? Ja, welches mir jetzt abermals unerträglich erscheint, nachdem ich heute Vormittags im thörichten Wahne aufflammte, brüderliche Freundschaft für einen Zuchthäusler, der Agnesen liebt, könne mich der Lust am Dasein wiedergeben! Bin ich nicht ein besonders elender Mensch? Bin ich nicht eine Ausnahme von allen Uebrigen? Leichtsinnig und schwach sind Viele; von augenblicklichen Empfindungen fortgerissen werden Viele; sie taumeln in Täuschungen dahin und halten sich noch immer für glücklich, wenn sie schon am drohendsten Abgrunde stehen. Andere wieder, im entschiedensten Gegensatze zu Jenen, zerlegen mit skeptischen Zweifeln, mit mißtrauischen Bedenklichkeiten, wie mit scharfen Messern, jede ihrer Empfindungen, jeden ihrer Gedanken und kommen deßhalb nie zum Genusse einer heitern Gegenwart; dafür aber bewahren sie sich vor bedenklichen Schritten, sichern sich vor einer quälenden Zukunft. Beide Gattungen von Menschen, wie schroff sie voneinander unterschieden sein mögen, behaupten, bei all' ihrer Thorheit, doch eine gewisse Berechtigung, zu sein wie sie sind; denn Jeder von ihnen kann in seiner Art für consequent gelten, und befindet sich in Uebereinstimmung mit angeborenem Naturell. Was aber soll' ich von Demjenigen halten, der beider getrennter Naturen Eigenthümlichkeiten in seiner Person vereiniget? Den momentanen Eingebungen ungezügelter Phantasie verfallend, wie der leichtsinnigste Gesell handelt und dabei als selbstquälerischer Grübler sich zugleich verleidet, was er begann? Was soll ich von diesem halten, wenn ich es selbst bin? Wenn ich einsehe, daß ich es bin? Wenn diese Einsicht aber mir zu weiter nichts verhilft, als die Trostlosigkeit meiner Lage zu vermehren? Soll ich mich hassen? Oder soll ich mich verachten?«
    Diese Fragen legte sich Emil vor. Und ohne eine von beiden entschieden zu beantworten, stellte er sich dann noch eine dritte, wichtigere: »Kann ich mich ändern?«
    Diese übte lindernde Wirkung auf ihn; denn sie führte ihn aus der schwülen Zelle eines Anatomen, der sich selbst secirt bei lebendigem Leibe, in die Regionen allgemeiner Betrachtung über die Abhängigkeit des Erdenmenschen von seinem irdischen Körper; eine ihm längst geläufige Betrachtung, die ihn nach und nach sich selbst entrückte und ihn zuletzt vergessen ließ, von welcher hohen Wichtigkeit es für ihn zunächst sei, zum klaren Bewußtsein freien Willens, geistiger Unabhängigkeit zu gelangen. Aus den Andeutungen in vorigen Capiteln; aus seinem soeben belauschten Selbstbekenntniß haben wir bereits entnommen, daß er zwischen crassen materialistischen Ansichten und zwischen unverkennbaren Neigungen zu idealistischer Schwärmerei hin und her schwankte. Vielleicht weil er an den in dieses Gebiet einschlagenden Wissenschaften und Studien nur genascht hatte; weil er ein planloser Autodidact, ein Halbgelehrter war!? Und ist diese Halbheit, angeregt und befördert durch so viele Handbücher, populäre Enthüllungen, gemeinnützige Schriften, Journale, nicht vielleicht der größte Segen und zugleich der schwerste Fluch unseres Jahrhundertes?

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