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Schweig still, mein Kind / Kriminalroman

Schweig still, mein Kind / Kriminalroman

Titel: Schweig still, mein Kind / Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Busch
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Kleinglücklich. Er hört die Stimme auf dem Plateau.
Niemand darf es wissen.
Er hört den Befehl
. Du musst es fortschaffen
. Es ist dieselbe Stimme, die ihn auch zu Liss geschickt hat. Und zu Johannes. Er gehorcht ihr. Immer. Er ist ein
Brunosoll
. Deswegen hat er Kleinglücklich aufgehoben. Aber er hat ihn nicht einfach weggebracht. Denn er ist klüger als alle anderen.
Bruno-Teufel
weiß als Einziger, wie Kleinglücklich weiterleben kann.
    Ein Schrei zerreißt seine Brust. Er schlägt mit der Stirn gegen die Stäbe. Die Wucht stoppt den Rückwärtslauf der Räder. Er kann hier nicht bleiben! Er muss in den Schnee. Zu Felix, der Rosa Osiria. Die hat einen ganz besonderen Platz. Niemand kann sie finden. Kleinglücklich lebt dort. In den zarten Blüten. Die sehen genauso aus wie das Blut im Schnee, das damals in einem Rinnsal aus seinem Köpfchen gelaufen ist.
    Er starrt hinaus auf die Bäume.
    Es knirscht in seinem Kopf. Behäbig schlagen die Räder nach vorn. Er fährt mit den Augen die Stäbe entlang. Blickt auf ihre Köpfe in der Wand, den Spalt zwischen Sims und letztem Querstab. Starrt abermals die Bäume an. Holz. Zellulose. Hemicellulose. Lignin. Die Räder beschleunigen. Er lässt die Stäbe los.
    Im Zimmer sucht er nach einem Stück Freiheit.
    Er ist eine Bombe.

[home]
33
    H anna lockerte ihren Pferdeschwanz und tastete nach einer Zigarette, ohne die Augen vom Monitor zu wenden. Die Heizung knackte, strahlte aber keine Wärme aus, so dass sie ihre Lederjacke anbehalten hatte. Die Wanderschuhe lagen auf dem Boden.
    Google und Bing hatten zahlreiche Artikel ausgespuckt. Sie alle bestätigten, was in Brunos Fachmagazin gestanden hatte: Schweden und einige andere Länder praktizierten eine neue Bestattungsart. Die Promession. Entwickelt zu dem Zweck, den Körper wieder der Erde zuzuführen. Also nicht verrotten zu lassen oder zu verbrennen – was die Alternativen für organisches Material wären. Abgesehen vom eher unfreiwilligen Mumifizieren oder Verseifen von Leichen.
    Die Promession überführte den Körper in einen Zustand, der schnell zu Humus verwandelt werden konnte. Dazu musste dem Leichnam, der im Normalfall zu siebzig Prozent aus Wasser bestand, dieses entzogen werden. Genau das leistete das Gefriertrocknen. »Im Grunde funktioniert es wie bei Tütensuppen«, erklärte ein Artikel. »Das organische Material wird erhalten, und der Kunde erhält das krümelförmige Suppengemüse. Beim Leichnam ist es Granulat.«
    Absurd. Doch andererseits, dachte Hanna, pflegen viele Kulturen Totenrituale, die unserer Vorstellung fremd sind. Hindus verbrennen Tote auf einem Holzstoß und feuern so lange nach, bis der Schädel platzt, damit die Seele entweichen kann. Verbleibende Knochen versenken sie im Fluss oder hängen sie im Tontopf in einen Samibaum. Manche Tibeter bieten ihre Verstorbenen auf den Bergen den Geiern zum Fraß dar. Waren die fertig, blieben nur die blanken Gebeine. Unsereins kann als Diamant am Hals der Tochter enden, via Almbestattung in einem Schweizer Gebirgsbach oder im Weltraum. Warum also nicht als Dünger?
    Eher beschäftigte sie die Frage, was Ehrlinspiel vorher so aufgewühlt hatte. Und was er plötzlich erledigen musste. Hatte sie das richtig verstanden: Elisabeths Baby war unter Orchideen gefunden worden? Orchideen, die in Brunos Gewächshaus wuchsen?
    Gänsehaut überzog ihre Unterarme.
    Ehrlinspiel hatte am Telefon von »schockgefrieren« und »zerkleinern« gesprochen. Sie las den letzten Abschnitt des Dokuments:
    Ethische Bedenken hegt die Biologin nicht, obwohl böse Zungen auch gern fragen, ob man die kompostierten Toten ab und zu wenden müsse. »Wir unterstützen Leben«, sagt Wiigh-Mäsak, »indem wir den biologischen Kreislauf fortsetzen. Wir gliedern den toten Leib wieder in die Natur ein. Fünfzig Zentimeter Grabtiefe genügen, und nach wenigen Wochen ist nichts als bester Humus übrig.« Dass dies funktioniert, demonstriert sie an dem großen Rhododendron in ihrem Garten. Sein Wuchs ist stark, die Blätter sind kräftig und die Blüten eine Pracht. »Darunter liegt Tussan«, sagt sie. »Meine tote Katze ist der Nährstoff für den Rhododendron. Sie lebt in der Pflanze weiter.«
    Bruno, der verrückte Kerl! Hatte er etwa …? Ehrlinspiel musste zu derselben Erkenntnis gekommen sein.
    Schwarz-Erle. Unwillkürlich musste Hanna lächeln.
    Dann sah sie das ernste Gesicht des Hauptkommissars vor sich, hinter ihm die Felsen und Tannen. Hörte seine Beichte von der Schuld am Tod

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