Schweig still, mein Kind / Kriminalroman
eingebrochen war, um das Baby … Er schauderte. Das Baby, das zwei Tage in Sommers Tiefkühltruhe gelagert hatte. Der Abend, an dem er, Ehrlinspiel, in Brunos Gewächshaus eingedrungen und an dem ihm das leere Beet mit den bereitliegenden Orchideen aufgefallen war.
Er schluckte. »Wie haben Sie den Einbruch denn bemerkt?«
Noch während seiner Frage klingelte sein Mobiltelefon, verstummte aber gleich wieder. Er blickte auf das Display: Brock.
»Wie beim letzten Mal. Die Ventile waren –«
»Es gab schon einmal einen Diebstahl? Haben Sie den angezeigt?«
»Nein, das Ganze schien mir nicht wichtig genug.«
»Wann war das?«
»Warten Sie.« Meierfeld ging zu einem großen Aktenschrank. Seine Schuhe quietschten auf dem Linoleumboden. »Hier.« Er legte einen verblichenen Ordner vor Ehrlinspiel, feuchtete mit der Zunge den Zeigefinger an und blätterte. »Meine internen Notizen. Moment … da haben wir’s.«
Außengelände Ost,
entzifferte Ehrlinspiel einen Bleistifteintrag in steiler Schrift,
N
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unsachgemäß abgelassen. Person unbekannt. Diebstahl? Fr. auf Sa.,
3
./
4
. Dezember
. Vor zehn Jahren.
Verdammt! Zwei Nächte, nachdem Felix verschwunden war. Das war doch kein Zufall!
»Sagen Sie, könnte jemand so viel Stickstoff klauen und abtransportieren, dass man, sagen wir mal«, er suchte nach einem glaubhaften Vergleich, »eine große Katze damit schockgefrieren könnte?«
»Eine Katze?« Meierfeld hob die buschigen Augenbrauen. »Warum sollte einer so was machen?«
»Geht es oder geht es nicht?«
Meierfeld lockerte seine Krawatte. »Bedingt. Kommen Sie, ich zeige Ihnen etwas. Dann sehen Sie auch, warum ein Einbruch auffällt.«
Während sie durch die Flure gingen, rief Ehrlinspiel Brock zurück. Doch sie ging nicht ans Telefon. Kurz darauf standen beide Männer auf einem großen Hof. Gelbes Licht hob die hohen weißen Tanks aus dem Dämmerlicht. Meierfeld trug einen Schutzmantel, Arbeitshandschuhe und einen Gesichtsschutz aus Plexiglas.
»Achten Sie hierauf«, erklärte der Fabrikchef und deutete auf die silbernen Zuleitungen, Hähne und Uhren zur Druck- und Füllstandsanzeige. Dann griff er zu einem Schlauch, der unten am Tank angeschlossen war, und drehte an einem handtellergroßen Rad. »Zurück«, sagte er. Es zischte eine Weile, dann ergoss sich mit einem Fauchen transparente Flüssigkeit auf den Betonboden, wo sie sich in dichten weißen Dampf verwandelte. Er kroch bis vor Ehrlinspiels Füße. »Das Zeug hat minus 196 Grad, wenn es austritt«, klang es hohl unter Meierfelds Maske hervor. »Erwärmt es sich, zum Beispiel wenn es auf den wärmeren Boden trifft, so verwandelt es sich augenblicklich in Dampf.«
»Wenn ich das über eine Katze schütte …?«, rief der Ermittler und sah, wie die Leitungen sich mit Eis überzogen.
Meierfeld ließ die Stickstoffwolke sich auflösen und streifte dann Gesichtsschutz und Handschuhe ab. »Wenn Sie sie wirklich tiefgefrieren wollen, brauchen Sie ein Gefäß zum Hineinlegen. Dann müssen Sie mehrmals Stickstoff drübergießen.«
»Das heißt, bis die Katze durchgefroren wäre, brauchte man etliche Gefriergänge. Eine größere Menge Stickstoff.«
»Genau. Am besten ist dafür ein Gefäß, das gut isoliert. Styropor oder so. Das hält die Kälte besser. Trotzdem: Eine solche Menge zu klauen und abzutransportieren, wie Sie sagten, das geht kaum. Das müsste schon alles hier passieren.« Er schlug mit der Maske leicht an die vereisten Leitungen. »Daran haben wir übrigens gesehen, dass sich jemand an den Tanks zu schaffen gemacht hat. Kondensierte Luftfeuchtigkeit. Außerdem steckte die Lanze«, er deutete auf das metallene Schlauchende, »nicht in ihrer Halterung.«
»Verstehe.« Styropor, dachte Ehrlinspiel. Die Kiste mit dem Aufdruck
Empfindliche Pflanzen
.
Sie gingen zurück Richtung Büro.
»Was hat der Typ mit der gefrorenen Katze gemacht?«, fragte Meierfeld.
Ehrlinspiel überlegte kurz. »Ein Experiment. Zersplittert. Wie früher die Bananen im Chemieunterricht.«
»Auf den Boden fallen lassen? Wir haben nichts gefunden.«
»Er hat es später gemacht. Zu Hause.«
»Nein, hat er nicht.«
»Wie bitte?« Ehrlinspiel blieb stehen und blickte auf Meierfelds fleckigen Hals.
»Das Vieh taut ruck, zuck wieder auf. Wenn es in gefrorenem Zustand zerteilt wurde, dann hier. Vielleicht in dem Behälter. Oder auf einer Unterlage.«
Ehrlinspiel fühlte sich niedergeschlagen. Elisabeths Kind. Sinas Kind. Die Diebstähle. Bruno, den er in der
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