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Schweig still, mein Kind / Kriminalroman

Schweig still, mein Kind / Kriminalroman

Titel: Schweig still, mein Kind / Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Busch
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einen Blick auf die Qualen in ihrem Innern freigaben.
    »Aber dann, nach Sina«, fuhr sie fort, »haben sie mich akzeptiert.«
    »Also haben Sie mitgemacht«, brachte er es auf den Punkt.
    »Ein paar Briefe, das war alles.«
    »Was für Briefe?«
    Sie blickte in die Kiste mit den Büchern, sagte nichts.
    Ehrlinspiel wechselte das Thema. »Wusste Elisabeth, dass Bruno das Kind ihrer besten Freundin hier gelagert hat?«
    »Wir haben nicht viel miteinander geredet.«
    »Heißt das ja oder nein?«
    »Fragen Sie doch meinen Mann.« Sie stapelte die Zeitschriften auf den Kistenboden.
    »Und Hermann? Wusste der davon?« Eine sprichwörtliche Leiche im Keller blieb sicher nicht unbemerkt. Das Familiengeheimnis in der Truhe?
    Gelassen räumte sie weiter, als habe sie seine Frage nicht gehört. »Ich habe alles für Bruno getan. Mein ganzes Leben habe ich für ihn geopfert. Sein Lieblingsessen gekocht, seine Lieblingskekse gebacken, versucht, mit ihm zu singen, und ihm vorgelesen. Ich kann ihn nicht aufgeben.«
    Ehrlinspiel überlegte kurz. Larsson. Der Kinderreim. »Haben Sie ihm auch Gutenachtgeschichten vorgelesen?
Ein Pflänzelein, mein Kindchen fein?
«
    Frieda hielt inne, und ihre Gesichtszüge wurden weich. »Das ist sein Lieblingsgedicht. Hat er es Ihnen vorgesungen? Es war der einzige Reim, auf den er reagiert hat. Wir haben ihn oft zusammen gesummt. Früher. Er tut ihm gut. Er beruhigt ihn.« Sie legte ein Buch in die Kiste, so sanft, als wolle sie es zur Nacht betten.
    Schnurrende Katzen, summender Bruno, dachte Ehrlinspiel. Ich habe richtig vermutet. Und dieser Reim hat ihn wohl zum ersten Mal mit der Idee konfrontiert, aus Erde Leben zu machen. Irgendwann hat er dann den Artikel gelesen, und als sich die Gelegenheit bot …
    Frieda war offenbar überzeugt davon, alles korrekt gemacht zu haben. Doch nie hat sie danach gefragt, was für Wege Bruno mit fachlicher Hilfe hätte gehen können. Konnte er ihr daraus einen Vorwurf machen? Er wusste es nicht. Gut gemeint – falsch gehandelt. Wie so oft. Aber was bedeutete »gut gemeint« schon?
    Ein Herbstabend kam ihm in den Sinn. Nach dem Tischtennistraining mit Freitag hatten sie bei ihm ein Bier getrunken. Lilian, Freitags Frau, war mitten in der Nacht von einer langen Wache im Hospiz heimgekehrt. Die Angehörigen hatten den Sterbenden nicht gehen lassen wollen, ihm zu trinken gegeben, sogar zu essen – obwohl genau das ein friedliches Gehen erschwerte, weil der Stoffwechsel sich bereits auf den Tod eingestellt hatte. »Nicht die Bösen kommen in die Hölle. Sondern die, die es gut meinen«, hatte Lilian gesagt.
    Du hättest dich bei allem auch um deine anderen Kinder kümmern sollen, dachte der Hauptkommissar. Um die Menschen statt um Status. Aber er sagte nichts.
    Frieda wandte sich ihm zu, als sie das letzte Buch verstaut hatte. »Hat Ihre Mutter Lieder mit Ihnen gesungen?«
    Ehrlinspiel war überrascht. »Ja«, entgegnete er knapp. Irische Lieder. Songs aus ihrer Heimat. Ihrer warmen Stimme verdankte er seine Liebe zu Folk, Fiddeln und Tin Whistles. Er hätte auch gern diese Flöte mit dem hellen Pfeifen gespielt, aber Musikmachen zählte nicht zu seinen Stärken. Dafür sang er lauthals im Auto und beim Putzen, egal ob zu den Chieftains oder zu Jazz – Hauptsache, er war dabei alleine.
    »Dann würde sie Sie nie verraten.«
    Das war richtig, aber sie hätte ihm auch jede Hilfe angedeihen lassen, wenn er spezielle Förderung benötigt hätte.
    »Sie hatten Glück. Wie Bruno. Ich hatte das nicht.« Sie ging zur Tür und blieb dort stehen. »Ich war acht Jahre alt, als mein Bruder und ich einen hochbeladenen Karren durch den Wald bringen mussten. Die Kuh war alt, und bis zum Mittagsläuten sollten wir die Rüben zum Hof der Tante schaffen. Damit hat sie das karge Winterfutter für das Vieh angereichert. Norbert hat die Elfi am Strick geführt, und ich bin hintendran gelaufen. Wir kannten den Weg kaum, und unser Kreuz haben wir schon nicht mehr gespürt. Da hat nur noch die Angst geknistert. Was, wenn die Kuh scheut oder ausschlägt? Aber wir haben das hingekriegt. Den Berg rauf, über holprige Wege. Ich habe die Rüben aufgesammelt, die runterfielen. Aber dann, als es wieder steil hinunterging, da hat die Kuh keine Kraft mehr gehabt. Sie konnte die Wagenräder nicht bremsen. Norbert stand vor ihr mit aufgerissenen Augen und hat sie angebrüllt mit seiner hellen Kinderstimme: ›Halt, halt, Elfi!‹ Und dann hat der Wagen ihn unter sich begraben. Als wäre er

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