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Schweig still, mein Kind / Kriminalroman

Schweig still, mein Kind / Kriminalroman

Titel: Schweig still, mein Kind / Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Busch
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verglühten in der Finsternis.
    »Bitte, kannst du es mir nicht einfach hier sagen?« Sie blieb stehen. »Oder wir warten auf die anderen, und –«
    »Das geht nur uns beide etwas an«, drang seine Stimme zu ihr wie eine heranrollende Lawine, die alles unter sich zu vernichten droht.
    Sinas Brustkorb zog sich zusammen. Wieso war er plötzlich so grob? Er hatte vorhin fast geweint, als sie ihren Verdacht wegen Elisabeths möglicher Schuld vorgebracht und ihn angefleht hatte, doch zu sagen, ob er etwas darüber wisse. »Ich habe Angst, bitte, lass uns auf die anderen warten.«
    Er stieß sie in den Rücken. »Los, weiter!«
    Sie stolperte den Pfad entlang, zwischen den warnenden Fingern hindurch, und ihr Herz pochte wie ein anschwellender Gong. »Was hast du vor?«
    »Dir zeigen, was passiert ist«, sagte er hinter ihr.
    Sina schauderte. »Mit Felix?«
    »Ja.«
    Entschlossen drehte sie sich um. Was sollte ihr noch geschehen? Wenn sie es nicht herausfände, würde sie so oder so sterben. Ihre Existenz am Rande des Abgrunds beenden. »Was ist mit ihm?«
    Er trat vor sie, und sein Blick funkelte durch die Augenschlitze. »Felix ist tot.«
    Für einen Moment glaubte sie, von zwei gewaltigen Stahlzangen auseinandergerissen zu werden. Das konnte nicht sein. Durfte nicht sein! Er musste doch leben! Irgendwo. Jemand hatte ihn zu sich genommen damals, ihn aufgezogen,
es ging ihm gut!
    Er riss sie am Ärmel. »Weiter!«
    Sie musste sich befehlen, ein Bein vor das andere zu setzen. Ihr Blick heftete sich auf den verschneiten Weg, doch sie sah ihn kaum. Mit jeder Sekunde drangen die Worte tiefer in ihr Bewusstsein.
Felix ist tot.
Sie wusste es. Hatte es im Grunde immer gewusst. Ihr Sohn war tot.
    »Wusste Elisabeth davon?«, fragte sie, unsicher, ob ihre Worte überhaupt nach außen drangen oder ob sie in ihrem Hals steckenblieben.
    Er blieb stumm.
    »Ja«, antwortete sie sich selbst, plötzlich sicher, dass es so war. »Und sie hat es dir erzählt. Du warst ein Vertrauter. Elisabeth trägt Schuld.«
    Die Gestalt lachte in einer Mischung aus Hohn und Verzweiflung auf. »Was ist denn Schuld?«
    Ein Zweig schlug Sina ins Gesicht und verfing sich in den Federn des Kostüms. Sie riss ihn weg. Die letzten Tage flogen vor ihrem inneren Auge vorbei. Elisabeth im Laden. Ihre Worte, Sina solle das Dorf verlassen. Sinas harsche Reaktion. Elisabeth hatte genau gewusst, dass sie vergebens auf Felix wartete. »Warum hast du mir nie etwas gesagt?«
    »Fleisch und Blut verraten?«, zischte er, fast gleichzeitig mit dem Fackelwachs, das heiß in den Schnee troff.
    »Wie ist er gestorben? Was weißt du?« Elisabeths letzte Worte fielen ihr ein, bevor Sina sie aus dem Laden gewiesen hatte:
Ich komme wieder, Sina, ich möchte dir etwas erzählen. Morgen Abend. Bitte.
Elisabeth hatte ihr von Felix erzählen wollen! Aber jemand hatte sie daran gehindert …
    »Alles.« Er lachte schrill.
    Die Erkenntnis traf Sina mit einem entsetzlichen Schlag, schonungslos, und sie rutschte ein Stück den Pfad hinunter, doch ihr Begleiter riss sie grob auf die Beine und schob sie weiter. Ihr Herz schlug hart gegen ihren Brustkorb, sie suchte mit den Augen den Wegesrand ab, doch es gab keine Möglichkeit zu entkommen. Gestrüpp und Dornen würden ihr Kostüm mit ihren Krallen greifen.
    Das Bedürfnis, laut zu schreien, ergriff sie. Sie wollte mit den Fäusten auf ihn einschlagen, die Worte aus ihm herausprügeln. Zehn Jahre war sie den verzweifelten Grat zwischen Hoffnung und Selbstmord entlanggekrochen. Hatte nur noch funktioniert. Und er hatte alles gewusst! Zehn Jahre lang! Zorn schwoll in ihrem Bauch, in ihrer Brust an.
    »Du mieses Schwein!«, schrie sie, doch im selben Moment packte er sie fest im Nacken und drehte sie zu sich um. Langsam führte er die Hand mit dem Feuer auf sie zu, und der stechende Geruch verkohlter Kunststofffedern füllte ihre Lungen.
    »Angst?«, fragte er, und seine Stimme klang spöttisch. »Elisabeth hatte keine Angst.« Mit einem Ruck zog er ein Messer hervor. Das Metall spiegelte das Fackellicht rötlich, als er die Waffe dicht vor ihr Gesicht hielt.
    Sina ließ sich nach hinten fallen und stürzte rittlings über eine Wurzel. Er machte einen Schritt nach vorne, beugte sich über sie, die Fackel gefährlich nahe an den Federn, das Messer an ihrem Hals. Seine Augen durchbohrten sie, und sogar durch die kleinen Schlitze erkannte Sina, dass sie irr flackerten. Wenn er näher käme, würden die Federn brennen wie Stroh, sie selbst

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