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Schweig still, mein Kind / Kriminalroman

Schweig still, mein Kind / Kriminalroman

Titel: Schweig still, mein Kind / Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Busch
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einen letzten Appell.
    »Zurück«, fauchte Hermann. »Einen Fußbreit näher, und ich springe. Und machen Sie Ihre verdammte Taschenlampe an, damit ich sehe, wo Sie stehen.«
    Ehrlinspiel ließ den Handstrahler aufleuchten. »Ich verstehe Sie«, sagte er, während er Schritt für Schritt rückwärtsging. Nicht als Gegner auftreten. Das hatte sein Bärenführer, der erfahrene Ratgeber, immer betont. »Sie wollten Ihre Frau schützen und Ihre Kinder.« Gib dich als einer, der sich einfühlen kann. Schmeichle, wenn es denn sein muss. Nur so findest du in Extremsituationen Zugang zu den Menschen. »Sie wollten ein Leben ohne Zwist führen.«
    Hermann drehte ruckartig den Kopf hin und her, blickte von Ehrlinspiel zu den Prozessionsteilnehmern, wieder zum Hauptkommissar, wieder hinab. Im Kegel von Ehrlinspiels Lampe musste er den Menschen unten vorkommen wie ein lichtumstrahlter schwarzer Engel.
    »Spring doch, du feige Sau!«, schrien sie. »Verräter!«, kreischte es herauf. »Verdammter Mörder!«
    Hermann breitete die Arme aus, als wolle er in die Nacht davonfliegen, weg von seinen Taten, seinem Elend, seiner Schuld, eins werden mit der schwarzen Unendlichkeit des Himmels.
    Schweigen breitete sich aus, als hielte die Welt den Atem an, innerlich bebend vor der letzten Katastrophe, die den kleinen Kosmos des Dorfes vollends zerrütten würde. Einzig das eisige Wasser rauschte vorüber.
    »Verzeiht mir«, hallte Hermanns Stimme über den Felsen, »verzeih, Renate. Du bist die Seele an meiner Seite, auch im Tod.« Er riss die Arme nach oben, das Kostüm flatterte. Ehrlinspiel lief nach vorne, zum Felsen, als sich nur wenige Meter vor ihm eine Silhouette aus dem Schnee löste, ihre nackten Arme um Hermann schloss und ihn zurückriss auf den sicheren Felsgrund.
    »Bru der, Bru der«, sagte Bruno. »He, mann, he, mann.« Dann warf er die Arme hoch und hüpfte im Schnee. In der Hand hielt er einen Rosenstrauß.
    Brock hatte nicht halluziniert. Bruno war tatsächlich vor ihnen hier gewesen. Der Hauptkommissar stieß Hermann ein Knie in den Rücken, zerrte dessen Arme zu sich und ließ die Handschellen zuschnappen.
    Da erhob sich ein vielstimmiges Murmeln. Monoton, dunkel. Ehrlinspiel ließ seinen Blick nach unten schweifen. Die Dorfbewohner standen sichelförmig um Evers, Renate und die Kinder, im wirbelnden Schnee, die züngelnden Fackeln gen Himmel gereckt. »Wir bereuen unsere Sünden und die Sünden unserer Ahnen …«
    Gänsehaut kroch Ehrlinspiels Arme hinauf, er fror, als ein lautes Rattern die Luft erfüllte und schnell zu einem ohrenbetäubenden Dröhnen anwuchs. Strahler durchschnitten den wirbelnden Schnee, die Tannen bogen sich unter einem starken Luftzug, die Menge duckte sich, und die Fackeln erloschen. Ehrlinspiel schwenkte seine Lampe, während der Polizeihubschrauber nach einer Landemöglichkeit suchte.
    Er fühlte sich unendlich erleichtert.

[home]
39
    Mittwoch, 25. November
    E hrlinspiel schulterte seine Reisetasche und warf einen letzten Blick aus dem kleinen Fenster seines Zimmers in der
Heugabel
. Straßen, Kirche und Friedhof lagen im klaren Morgenlicht unter einer glitzernden dicken Schneedecke, und der Wald im Hintergrund wirkte wie ein verzaubertes Märchenreich. Die Luft schien gläsern. Ein Postkartenidyll. Die Begriffe Friede, Heimat und Beschaulichkeit gingen ihm bei dem Anblick durch den Kopf.
    Als er eben gehen wollte, flatterte ein Rabe herbei und setzte sich auf den schmalen Sims vor dem Fenster. Fast schien er frech hereinzuschauen.
    Was willst du denn?, dachte Ehrlinspiel. Warum landest du ausgerechnet hier? Freust du dich, dass ich diesen Ort verlasse? Oder bist du der Bote des Bösen? Der mir sagen will, dass der Schnee nur eine Decke ist, die sich jetzt, nach den Geschehnissen, über eine trügerische Heimeligkeit gelegt hat?
    Der Rabe stakste ein paar Zentimeter hin und her, drehte neugierig den Kopf und flog dann davon.
    Es ist Zeit, dachte Ehrlinspiel, dass auch ich mich auf den Weg mache.
    Erst am frühen Morgen war er ins Bett gekommen, hatte zunächst überlegt, gleich nach Freiburg zu fahren, sich aber zu erschöpft gefühlt. Der Hauptkommissar fröstelte und schwitzte gleichzeitig, seine Glieder schmerzten, und sein Kopf glich einer überreifen Melone kurz vor dem Platzen.
    Er schloss die Tür, suchte Willi und bat um einen Tee.
    In der Gaststube saß Hanna Brock, neben sich drei Koffer, in seiner Ecke hockte Anton.
    »Er sieht aus wie ein Gespenst, das versehentlich in eine

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